Mephisto
möchte sich erlauben, vorzuschlagen, daß man für diese Vorlesung einen eigenen Abend arrangiere, zu dem dann alle mit der wünschenswerten inneren Sammlung erscheinen könnten. Alle Senatoren atmeten erleichtert auf. Der alte Epiker weinte fast vor Enttäuschung. Herr Müller-Andreä ging dazu über, schmutzige Anekdoten aus jener Zeit zu erzählen, die er mit dem Brustton echter Entrüstung ›die Jahre der Korruption‹ nannte. Es waren einige Perlen aus der einstmals so berühmten Rubrik ›Hatten Sie davon eine Ahnung?‹. Im weiteren Verlauf des Abends stellte sich heraus, daß der Charakterspieler Joachim sowohl das Bellen der Hunde als auch das Gackern der Hühner sehr drollig nachahmen konnte. Lotte Lindenthal fiel fast vom Stuhl vor Lachen; denn nun kopierte Joachim einen Papagei. Ehe man auseinanderging, machte Baldur von Totenbach, der auch Senator war und zu dieser kulturellen Veranstaltung eigens die Reise von Hamburg nach Berlin unternommen hatte, den Vorschlag, man solle stehend das Horst-Wessel-Lied singen und dem Führer zum hundertsten Mal die Treue geloben. Es wurde allgemein als ein wenig peinlich empfunden, mußte aber natürlich geschehen.
Die Presse berichtete ausführlich über diesen zugleich traulichen und geistig ergebnisreichen Kameradschaftsabend der Kultur-Senatoren im Hause des Intendanten. Überhaupt ließen die Zeitungen sich keine Gelegenheit entgehen, das Publikum über die künstlerischen oder patriotischen Taten Hendrik Höfgens zu unterrichten. Man rechnete ihn zu den vornehmsten und aktivsten ›Trägern des deutschen Kulturwillens‹, und er wurde fast ebenso viel photographiert wie ein Minister. Als die Prominenten der Hauptstadt für die ›Winterhilfe‹ auf den Straßen und in den Lokalen sammelten, gehörte der Intendant zu denen, die fast ebenso viel Zulauf hatten wie die Herren von der Regierung. Aber während diese von schwer bewaffneten Detektiven und Gestapo-Beamten so umringt waren, daß das Volk mit seinen Spenden kaum bis zu ihnen vordringen konnte, durfte Hendrik es wagen, sich ohne jeden Schutz zu bewegen. Freilich hatte er sich eine Zone ausgesucht, wo er kaum fürchten mußte, mit dem gefährlichen Proletariat in Berührung zu kommen: der Intendant sammelte in der Halle des Hotels Adlon. Er ließ es sich auch nicht nehmen, in die Wirtschaftsräume hinabzusteigen, jeder Küchenjunge mußte seinen Groschen in die Büchse werfen, in die Lotte Lindenthal gerade mit zarten Fingern einen Hundertmarkschein gesteckt hatte. Arm in Arm mit dem feisten Küchenchef ließ der Intendant sich photographieren. Die Aufnahme kam auf das Titelblatt der ›Berliner Illustrierte‹.
Geradezu überschwemmt mit Höfgen-Bildern wurde die Presse, als der Intendant Hochzeit machte. Er führte Nicoletta heim, Müller-Andreä und Benjamin Pelz waren die Trauzeugen, der Ministerpräsident sandte als Hochzeitsgabe ein paar schwarze Schwäne für einen kleinen Teich, den es im Park von Hendrik-Hall gab. Ein paar schwarze Schwäne! Die Journalisten gerieten außer sich über so viel Originalität; nur einige sehr alte Menschen – wie zum Beispiel die Generalin – erinnerten sich, daß schon früher einmal ein hochgestellter Freund der schönen Künste seinem Protégé das gleiche Angebinde gemacht hatte: nämlich der bayrische König Ludwig II. dem Komponisten Richard Wagner.
Der Diktator selber beglückwünschte telegraphisch das junge Paar; der Propagandaminister schickte einen Korb voll Orchideen, die so giftig aussahen, als sollten die Empfänger mit ihrem Dufte den Tod einatmen; Pierre Larue verfaßte ein langes französisches Gedicht; Theophil Marder depeschierte seinen Fluch; die kleine Angelika, die übrigens gerade ein Kind bekommen hatte, weinte noch einmal, zum letzten Mal um ihre verlorene Liebe; in allen Redaktionen versteckte man das Material, das man über Höfgen und Prinzessin Tebab hatte, in die untersten und geheimsten Schubladen, und Doktor Ihrig diktierte seiner Sekretärin einen Aufsatz, in dem er Nicoletta und Hendrik als ein ›im schönsten und tiefsten Sinne des Wortes deutsches Paar‹, als ›zwei jugendfrische und dabei doch reife, der neuen Gesellschaft mit allen ihren Kräften dienende Menschen von reiner Rasse und aus edelstem Stoff‹ feierte. Nur eine einzige Zeitung – der man übrigens besonders intime Beziehungen zum Propagandaministerium nachsagte – wagte es, auf die suspekte Vergangenheit Nicolettas anzuspielen: Man beglückwünschte die junge
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