Mephisto
hinzunehmen, die ihr den Ruf der naiven und mütterlichen, verehrungswürdigen Frau einbrachte. Sie galt als uneigennützig, unantastbar rein. Sie war zur Idealgestalt geworden unter den deutschen Frauen. Sie hatte große, runde, etwas hervortretende Kuhaugen von einem feuchtstrahlenden Blau; schönes blondes Haar und einen schneeweißen Busen. Übrigens war auch sie schon ein wenig zu dick – man speiste gut und reichlich im Präsidentenpalais. Man erzählte sich bewundernd von ihr, daß sie sich gelegentlich bei ihrem Gatten für Juden aus der guten Gesellschaft einsetze – die Juden kamen trotzdem ins Konzentrationslager. Man nannte sie den guten Engel des Ministerpräsidenten; indessen war der Fürchterliche nicht milder geworden, seitdem sie ihn beriet. Eine ihrer berühmtesten Rollen war die Lady Milford in Schillers ›Kabale und Liebe‹ gewesen: jene Mätresse eines Gewaltigen, die den Glanz ihres Geschmeides und die Nähe ihres Fürsten nicht mehr erträgt, da sie erfahren hat, womit man Edelsteine bezahlt. Als sie zum letzten Mal im Staatstheater auftrat, spielte sie die Minna von Barnhelm: so deklamierte sie, ehe sie in den Palast des Fliegergenerals übersiedelte, noch einmal die Sätze eines Dichters, den ihr Gemahl und seine Spießgesellen hetzen und verfolgen lassen würden, lebte er heute und hier. In ihrer Gegenwart wurden die schauerlichen Geheimnisse des totalen Staates besprochen: sie lächelte mütterlich. Morgens, wenn sie ihrem Gatten neckisch über die Schulter lugte, sah sie Todesurteile vor ihm auf dem Renaissanceschreibtisch – und er unterzeichnete sie; abends zeigte sie den weißen Busen und die ährenblonde Kunstfrisur in Opernpremieren oder an den geschmückten Tafeln der Bevorzugten, die ihres Umgangs gewürdigt wurden. Sie war unberührbar, unangreifbar; denn sie war ahnungslos und sentimental. Sie glaubte sich umgeben von der ›Liebe ihres Volkes‹, weil zweitausend Ehrgeizige, Käufliche und Snobs Lärm machten zu ihren Ehren. Sie schritt durch den Glanz und verschenkte Lächeln – mehr verschenkte sie nie. Sie glaubte allen Ernstes, daß Gott ihr wohlwollte, weil er ihr so viel Geschmeide hatte zukommen lassen. Mangel an Phantasie und an Intelligenz bewahrte sie davor, an eine Zukunft zu denken, die mit dieser schönen Gegenwart vielleicht wenig Ähnlichkeit haben würde. Wie sie dahinschritt, erhobenen Hauptes, übergossen vom Licht und von der allgemeinen Bewunderung, gab es keinen Zweifel in ihrem Herzen an der Haltbarkeit solchen Zaubers. Niemals – so meinte sie zuversichtlich – niemals würde abfallen von ihr dieser Glanz; niemals würden die Gemarterten sich rächen, niemals würde die Finsternis nach ihr greifen.
Immer noch wurde Tusch gespielt, ebenso laut wie ausführlich; immer noch dauerte das huldigende Geschrei. Inzwischen waren Lotte und ihr Dicker beim Propagandaminister und bei Höfgen angekommen. Die drei Herren hoben flüchtig die Arme, die Grußzeremonie lässig andeutend. Dann neigte Hendrik sich mit einem ernsten und innigen Lächeln über die Hand der großen Dame, die er so oft auf der Bühne hatte umarmen dürfen. – Hier standen sie, dargeboten der brennenden Neugier einer gewählten Öffentlichkeit: vier Mächtige in diesem Lande, vier Gewalthaber, vier Komödianten – der Reklamechef, der Spezialist für Todesurteile und Bombenflugzeuge, die geheiratete Sentimentale und der fahle Intrigant. Die gewählte Öffentlichkeit beobachtete, wie der Dicke dem Herrn Intendanten auf die Schulter schlug, daß es krachte, und sich mit einem grunzenden Lachen erkundigte: »Na, wie geht's, Mephisto?«
Vom ästhetischen Gesichtspunkt aus war die Situation für Höfgen vorteilhaft: neben dem gar zu ausladenden Ehepaar wirkte er schlank, und neben dem agilen, aber krüppelhaften Reklamezwerg hochgewachsen und stattlich. Übrigens bildete auch sein Gesicht, so fahl und fatal es sein mochte, einen immerhin erfreulichen Gegensatz zu den drei Gesichtern, die es umgaben: mit den empfindlichen Schläfen und dem kräftig geprägten Kinn erschien es doch als das Antlitz eines Menschen, der gelebt und gelitten hat; das Gesicht seines fleischigen Protektors aber war eine verquollene Maske; das der Sentimentalen eine törichte Larve und das des Propagandisten eine verzerrte Fratze.
Die Sentimentale sagte mit seelenvollem Blick zum Intendanten, für den sie eine geheime – jedoch nicht gar zu geheime – Zuneigung im Busen trug: »Ich habe Ihnen noch gar nicht gesagt,
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