Merani und die Schlange unter dem Meer
wirkenden Erscheinung, drehte sich herum und warf einen Blick auf die Seeleute auf seinem Schiff. Die Mannschaft, die vorher bereit gewesen war, mit ihm in Tenelins Rachen zu segeln, wirkte nun wie ein Haufen verängstigter Kinder. Einige weinten sogar, und fast alle beteten so inbrünstig, wie sie es bisher noch nie getan hatten.
»Es wird alles gut werden! Ihr habt nichts zu befürchten«, rief er ihnen zu und hoffte, das Schicksal würde ihn nicht Lügen strafen.
9
Kurz darauf krachte es, und ein gewaltiger Ruck durchlief das Schiff. Einige der weiblichen Matrosen kreischten durchdringend, während andere Warnrufe und Flüche ausstießen. Noch einen Moment später stürzte das obere Drittel des Fockmastes über Bord, riss aber zum Glück niemanden mit.
»Kappt die Taue!«, brüllten die Kapitänin und Argo gleichzeitig.
Der Prinzgemahl packte als Erster eine Axt und schlug auf die Wanten ein. Seinem Beispiel folgte die Mehrzahl der bislang erstarrten Seeleute. Sie nahmen ebenfalls Beile und Entermesser zur Hand und durchtrennten die mehr als armdicken Seile, die die abgebrochene Mastspitze mit dem Schiff verbanden. Die Kapitänin eilte unterdessen mit zwei anderen Frauen unter Deck, um die Schäden anzusehen. Nach einer Weile kam sie wieder herauf und berichtete Argo, was sie vorgefunden hatten.
»Wir haben ein Riff gestreift, Prinzgemahl, und dabei hat sich eine Felszacke in den Rumpf gebohrt. Sie steckt noch in der Bordwand. Wenn sie sich löst, haben wir ein Leck, durch das ein erwachsener Mann schwimmen kann.«
»Könnt ihr es von außen abdichten?«, fragte Argo.
Die Kapitänin schüttelte den Kopf. »Nicht bei dieser Geschwindigkeit, Prinzgemahl. Wir können nur beten, dass das Felsstück im Rumpf stecken bleibt. Sonst hilft uns die freie See vor uns auch nichts mehr.«
»Wenn wir sinken, tun wir es wenigstens so tief im Gebiet der Stürme, dass die Invasoren den Feuerthron nicht mehr bergen können«, erklärte Mera scheinbar gelassen.
Argo nickte mit zusammengebissenen Zähnen. Der brodelnde Feuerball, der vor ihnen herzog, hatte ihn beinahe schon vergessen lassen, dass sie ausgezogen waren, um den Feuerthron vor den Eindringlingen in Sicherheit zu bringen. Jetzt schien tatsächlich die beste Gelegenheit dazu zu sein.
»Sollen wir ihn über Bord werfen und versuchen, uns in Sicherheit zu bringen?«, fragte er.
Die Magierkaiserin legte den Kopf schräg und schien nach vorne zu horchen. Dann schüttelte sie den Kopf. »Noch nicht!«
»Wenn wir noch weiter in des Gewirr der Klippen hineinfahren, werden wir irgendwo auflaufen«, fuhr Argo auf.
Mit einer heftigen Geste wies Mera nach vorne. »Solange die Magieballung uns den Weg frei macht, folgen wir ihr.«
»Wie du meinst!«, murmelte Argo und stellte fest, dass er sich noch nie so unwohl gefühlt hatte wie in diesen Stunden. Hier waren Kräfte am Werk, denen er auch als Arghan nichts entgegenzusetzen hatte. In dem Moment überschüttete eine besonders hohe Welle das Schiff und drang durch die Luken ein.
»Vier weitere Leute an die Pumpen!«, rief Argo. Da schoss das Schiff zwischen zwei hoch aufragenden Felsen hindurch, die so eng beieinanderstanden, dass Teile der Reling abgeschoren wurden. Noch während Argo sich erschrocken umsah, raste der Bug direkt auf einen Klippenwall zu. Erst im letzten Augenblick sahen sie eine Lücke in den Felszähnen, die jedoch viel zu schmal für sie war.
»Alle festhalten! Gleich kracht es«, schrie Argo, so laut er konnte, und klammerte sich an den Fuß des Klüverbaums.
Mera blieb jedoch wie angewurzelt stehen und starrte nach vorne. Ihre Augen glühten blau, und auf ihrem Gesicht erschienen leuchtende Linien in der gleichen Farbe. Nie zuvor hatte sie einen Gegenstand von der Größe eines Ardhuschiffes allein kraft ihres Willens gehoben, daher setzte sie alles an magischer Stärke ein, was sie besaß. Der Bug schwang nach oben, und für einen kurzen Augenblick schwebte das Schiff über den Klippen. In dem Augenblick brach Mera lautlos zusammen.
Das Schiff fiel wie ein Stein herab, krachte auf die Felsen und glitt, vom eigenen Schwung getragen, weiter. Zwei, drei Herzschläge später klatschte es in eine lagunenähnliche Bucht. Argo hörte Planken bersten und sah, wie der Stumpf des Fockmastes aus seiner Verankerung gerissen wurde und zur Seite kippte. Auch der Besanmast wurde durch den Aufprall geknickt und stürzte auf das Deck. Der Rumpf aber neigte sich nach Backbord und lag dann so
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