Mercy-Thompson 03 - Spur der Nacht-retail-ok
brechen.
Aber ich kann sie dennoch aufspüren, denn die Opfer eines traumatischen Todes neigen dazu, als Geister dort zu bleiben, wo sie gestorben sind – und Vampire haben viele traumatisierte Opfer.
Deshalb gibt es auch nicht viele Walker (ich war jedenfalls nie einem begegnet) – die Vampire haben sie alle umgebracht.
Wenn der Mann, dessen Blut den Boden und die Wände überzog, einen Geist zurückgelassen hatte, hatte der jedoch nicht das Bedürfnis, sich sehen zu lassen. Noch nicht.
Ich duckte mich im Durchgang zwischen Flur und Wohnzimmer und schloss die Augen, damit ich mich besser darauf konzentrieren konnte, was ich roch. Den Geruch des Mordopfers schob ich beiseite. Wie jede Person hat auch jedes Haus seinen eigenen Geruch. Ich würde damit anfangen und mich dann zu den Gerüchen vorarbeiten, die nicht hierhergehörten. Ich identifizierte den grundlegenden Geruch des Raums, in diesem Fall überwiegend Pfeifenrauch, Holzrauch und Wolle. Die Holzrauch-Note war seltsam.
Ich öffnete die Augen wieder und sah mich noch einmal um, aber es gab keine Spur von einem offenen Kamin. Wenn der Geruch schwächer gewesen wäre, hätte ich vermutet, dass er an einem Kleidungsstück hing, aber er war durchdringend. Vielleicht hatte das Opfer Räucherwerk besessen, das wie ein Holzfeuer roch.
Da es wahrscheinlich nicht besonders hilfreich sein würde, den geheimnisvollen Grund für den Geruch nach
verbranntem Holz zu finden, legte ich das Kinn wieder auf die Vorderpfoten und schloss erneut die Augen.
Sobald ich wusste, wie das Haus roch, konnte ich die Oberflächendüfte besser unterscheiden, die zu den Lebewesen gehörten, die hier ein und aus gegangen waren. Wie angenommen stellte ich fest, dass Onkel Mike hier gewesen war. Ich fand auch den Gewürzgeruch des Jojo-Mädchens, sowohl aus der letzten Zeit, als auch von früher. Sie war oft hier gewesen.
Alle Gerüche, die noch blieben, nahm ich auf, bis ich sicher war, mich wenn nötig wieder an sie erinnern zu können. Ich erinnere mich besser an Gerüche als an Gesichter. Ich mochte die Züge einer Person vergessen, aber nur selten ihren Duft – oder ihre Stimme.
Ich öffnete die Augen, um das Haus weiter zu durchsuchen … und stellte fest, dass sich alles verändert hatte.
Das Wohnzimmer war eher klein gewesen, gut aufgeräumt und ebenso langweilig wie die Fassade des Hauses. Der Raum, in dem ich nun stand, war beinahe doppelt so groß. Statt Rigips überzog nun poliertes Eichenholz die Wände, geschmückt mit kleinen, aufwändigen Wandbehängen, die einen Wald zeigten. Das Blut des Opfers, das ich zuvor auf einem haferflockenfarbenen Teppichboden gesehen hatte, überzog nun einen Flickenteppich und den glänzenden Holzboden.
An der Außenwand befand sich ein Kamin aus Flusssteinen, wo zuvor ein Fenster zur Straße gewesen war. Auf dieser Seite des Raums gab es jetzt keine Fenster mehr, aber viele auf der anderen Seite, und durch sie hindurch konnte ich einen Wald sehen, wie er im trockenen Klima von Ostwashington niemals wachsen würde. Er war viel,
viel zu groß um sich in dem kleinen Hof zu befinden, der von einem Zedernzaun von sechs Fuß Höhe umgeben gewesen war.
Ich stellte die Vorderpfoten auf die Fensterbank und starrte den Wald an, und meine vorherige kindische Enttäuschung darüber, dass das Reservat nichts als eine langweilige Durchschnittssiedlung war, wich schnell dem Staunen.
Die Kojotin hätte gerne den Gerüchen nachgespürt, von denen ich genau wusste, dass sie in diesem tiefen grünen Wald lagen. Aber ich hatte zu tun. Also nahm ich die Nase vom Glas weg und sprang auf die trockenen Stellen des Bodens, bis ich wieder in den Flur kam – der noch genauso aussah wie vorher.
Es gab zwei Schlafzimmer, zwei Badezimmer und eine Küche. Meine Aufgabe wurde leichter, weil mich jetzt nur noch die frischen Gerüche interessierten, also brauchte ich nicht lange.
Als ich auf dem Weg nach draußen noch einmal ins Wohnzimmer schaute, zeigten seine Fenster immer noch einen Wald und keinen kleinen Hof. Ich sah einen Moment den Sessel an, der so gedreht war, dass man von dort den Wald sehen konnte. Ich konnte den Besitzer beinahe dort sitzen sehen, wie er die Wildnis genoss, wenn er am Kamin saß und seine Pfeife rauchte.
Aber ich sah ihn nicht wirklich. Er war kein Geist, nur etwas, was ich mir einbildete, wobei der Pfeifenrauch und der Waldgeruch halfen. Ich wusste immer noch nicht, wer oder was er gewesen war, nur, dass er sehr mächtig war.
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