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Meridian

Titel: Meridian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amber Kizer
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da raufgehen? Ich könnte Sie auch zu einem Motel in der Stadt bringen. Dann könnten Sie Ihre Tante anrufen.« Offenbar hatte er Bedenken, mich einfach in der Wildnis auszusetzen, wo ich mich nicht auskannte.
    Ich lächelte tapfer. »Ich schaffe das schon.« Ich hielt ihm die fünfzig Dollar hin, die die Senora mir gegeben hatte.
    »Das ist zu viel. Die Fahrt war ein Geschenk.« Er verbeugte sich, ohne nach dem Geld zu greifen.
    »Vielen Dank, aber bitte nehmen Sie es«, beharrte ich. »Schicken Sie es Ihrer Tochter für die Taxifahrt. Vielleicht hat sie es nötig.«
    »Gut.« Er kritzelte etwas auf einen Zettel und reichte ihn mir. »Wenn Sie Hilfe brauchen, rufen Sie mich an.«
    Danke, ich steckte seine improvisierte Visitenkarte ein und machte mich auf den Weg die Auffahrt hinauf.
    Ich entdeckte weder ein Haus noch einen Hinweis darauf, dass meine Entscheidung richtig gewesen war. Dann hörte ich, wie die Gänge des alten verrosteten Subaru einrasteten, und spürte mehr, als es wirklich zu sehen war, als die Rücklichter sich entfernten. Es war zwecklos, dem Wagennachzublicken. Doch es kostete mich alle Willenskraft, ihm nicht hinterherzulaufen und den Mann anzuflehen, mich den ganzen weiten Weg zurück nach Hause zu fahren.

Kapitel 4
     
     
    Eine Ewigkeit trottete ich vor mich hin, bis ich mich schließlich setzen musste, um nicht an Ort und Stelle umzufallen.
    Kein Stern stand am Himmel, und die Lichtverhältnisse reichten gerade, um schemenhafte Umrisse wahrzunehmen. Fühlte sich Blindheit so an? Wie ein ohnmächtiges, unbeholfenes Nichts?
    »Aaaa-oooww«, erklang das Heulen eines Wolfes dicht an meinem Ohr.
    Ich sprang auf, dass der Schnee in alle Richtungen spritzte. Das Herz klopfte mir bis zum Hals, mein Atem ging schwer, und mein Puls raste.
    »Tolle Idee, Meridian, im Schnee einzuschlafen. Dir fehlt nur noch eine dämliche Schachtel Streichhölzer, und schon bist du ein Märchen mit einem traurigen Ende.« Ich marschierte weiter und schleifte mein Gepäck hinter mir her.
    Als es aufhörte zu schneien, hatte ich eine bessere Sicht.
    »Das war kein Wolf, den du eben gehört hast. Du bist nur müde. Und siehst Gespenster. Und bist total durchgefroren. Das eben war kein Wolf.« Ich schleppte mich weiter und musste die Knie bis an die Brust heben. Meine Lungen brannten vor Anstrengung.
    Das Plätschern von Wasser zwang mich, darauf zu achten, wo ich hintrat. Vor mir erhob sich eine Steinbrücke. Sie spannte sich über die Erde, als wolle sie der Schwerkraft trotzen. Ein Bächlein versuchte, sich zwischen Eiszapfen und vereisten Steinen durchzuarbeiten. Nur ein dünnes Rinnsal war nicht gefroren.
    Ich versuchte, mir diesen Ort üppig grün vorzustellen, mit Vögeln und Eichhörnchen, die durch die Baumwipfel tollten. Das Knurren meines Magens holte mich wieder zurück in die Wirklichkeit. Ich versuchte, nicht darauf zu achten. Doch da war es wieder – und es war nicht mein Magen.
    Ich drehte mich um die eigene Achse und hielt Ausschau nach dem knurrenden Tier. »Ich habe hier offenbar nicht als Einzige Hunger«, flüsterte ich und schluckte.
    »Arrrrwwwlll.«
    Es war ein schreckliches, wildes und animalisches Geräusch, das mir einen Schauder den Rücken hinunterjagte. Offenbar war ich das Kaninchen für diesen Wolf. Eine Art modernes Rotkäppchen.
    Ich packte meine Taschen, in der Hoffnung, dass sie mich gegen einen Angriff abschirmen würden, und stolperte die Straße entlang. Hinter mir raschelte es im Gebüsch.
    Meine zitternden Beine versagten den Dienst. Als ich stürzte, stützte ich mich mit den Händen ab. Mein Knie prallte auf den gefrorenen Boden und schlitterte über die unter dem Schnee verborgenen Felsen. Ich spürte, wie mir etwas Warmes das Bein hinunterlief, und sah, dass Blut aus einer Wunde tropfte.
    »Grrrrrr.«
    Ich spähte in die Nacht, konnte den Urheber des Knurrensjedoch nicht entdecken. Also rappelte ich mich auf, ließ die Reisetasche liegen und rannte taumelnd und stolpernd weiter. Keuchend hielt ich inne. Die Hände auf die Knie gestützt, versuchte ich, trotz meines stoßweisen Atmens etwas zu hören. Schritte knirschten. Sie kamen näher.
    Als ich den Kopf hob, sah ich in der Ferne Lichter funkeln. Der Wind trug Stimmen zu mir. Ich ging weiter, bis die Schatten und Umrisse sich in Gegenstände verwandelten: ein Holzstoß, eine Karre, ein Haus und Nebengebäude.
    Das Haus war gewaltig und mit Türmchen, Giebeln und riesigen Kaminen verziert. Das Licht, das von der Veranda und

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