Merlin und die Feuerproben
Augenblick und schaute hinauf in die Zweige der großen Eberesche. »Schließlich trug Valdeargseine Wut nach Süden, ins übrige Fincayra. Damals hat dein Großvater Tuatha ihn zum Kampf gestellt – und ihn zurück ins Ödland
getrieben. Obwohl der Kampf der hellen Flammen den Himmel drei Jahre und einen Tag lang mit ihrem Schein überzog, gewann Tuatha
schließlich die Oberhand und lockte den Drachen in einen Zauberschlaf.«
Ich schaute auf das Psalterstück in meiner Hand. »Einen Schlaf, der jetzt beendet ist.«
»Ja, deshalb sprach ich vom
Drachenkampf
. Dieses Gedicht erzählt nämlich die Geschichte des Duells. Tuatha vertraute auf eine Waffe von großer Zauberkraft, die ihm
den Sieg brachte.«
»Was war das?«, fragte Rhia.
Cairpré zögerte.
»Sag es uns«, verlangte sie.
»Der Galator.« Der Dichter sprach leise, aber seine Worte dröhnten mir in den Ohren.
Instinktiv fuhr ich mit der Hand zur Brust, wo der edelsteinbesetzte Anhänger mit Kräften, die so geheimnisvoll waren wie
sein merkwürdiger grüner Glanz, vor langer Zeit geruht hatte. Ich sah, dass Rhia den Griff bemerkt hatte. Und ich wusste,
dass auch sie sich an den Galator erinnerte – und wie er an die Hexe Domnu, die Diebin der Sümpfe, verloren ging.
»Das Gedicht«, fuhr Cairpré fort, »endet mit einer Prophezeiung.« Düster sah er mich an. »Einer Prophezeiung, die alles andere
als klar ist.«
Er setzte sich auf eine ausladende Wurzel und schaute in die Ferne. Nach einer langen Pause begann er zu rezitieren:
Wenn Valdearg vom Schlaf erwacht,
beginnt für zu viele der ewige Schlummer.
Der dunkelste aller Tage bringt
zu vielen Geschöpfen den tiefsten Kummer.
Zuerst kommt der Schrecken,
der anschwillt zur Pein,
das Ende kann nichts als
Verderben sein.
So grenzenlos ist seine Kraft,
sein Wüten so maßlos und ohne Besinnen,
weil Valdearg seine Träume rächt,
die sterben, bevor sie zu leben beginnen.
Gleich nach dem Erwachen
sieht er den Verlust,
nur Gier nach Bestrafung
ist ihm bewusst.
Seht, unaufhaltsam ist sein Zorn.
Nur einer kann jetzt noch sein Wüten beenden:
Ein Abkömmling der Feinde von einst,
der uralten Gegner, kann alles noch wenden.
Sie kämpfen erbittert
in schrecklicher Schlacht,
der uralte Blutrausch
ist neu entfacht.
Doch keiner trägt den Sieg davon.
So schrecklich die beiden einander bekriegen,
so fürchterlich die Wunden sind,
so wenig gelingt es dann einem, zu siegen.
Der Drache sieht nie mehr
am Himmel das Rot,
sein Gegner am Boden
ist stumm und tot.
Luft wird zu Wasser, Nass zu Eis,
aus Tropfen beginnen die Flammen zu lecken.
Das Mischen der Elemente zeigt,
dass bald neue Fluren die Erde bedecken.
Die Feinde besiegt
von höherer Macht,
die Plage beendet
nach schlimmer Schlacht.
Bis auf das Rauschen der Ebereschenblätter war kein Laut auf der Kuppe zu hören. Niemand regte sich, niemand sprach. Wir waren
so still wie die verkohlten Reste meines Instruments. Schließlich trat Rhia zu mir und wand ihren Zeigefinger um meinen.
»Merlin«, flüsterte sie, »ich verstehe nicht, was das alles bedeutet, aber der Klang gefällt mir nicht. Das Gefühl. Bist du
sicher, dass du gehen willst? Vielleicht findet Urnalda ohne dich eine Lösung, wie man den Drachen aufhalten kann.«
Ich schaute sie finster an und zog meine Hand weg. »Natürlich will ich nicht gehen! Aber sie hat mir einmal geholfen, als
es wirklich nötig war. Und ich habe versprochen ihr zum Dank zu helfen.«
»Aber nicht mit einem Drachen zu kämpfen!«, rief meine Mutter verzweifelt.
Ich sah die Frau an, die noch vor kurzem so überglücklichgewesen war, dass sie singen wollte. »Du hast Urnalda gehört. Sie sagte, ich bin der Einzige, der ihr Volk retten kann. Warum,
weiß ich nicht, aber es muss etwas mit der Prophezeiung zu tun haben. Niemand kann den Drachen besiegen außer einem –
ein Abkömmling der Feinde von einst
. Damit bin ich gemeint, siehst du das nicht ein?«
»Warum?«, flehte sie. »Warum musst du es sein?«
»Weil ich der Abkömmling von Tuatha bin, dem einzigen Magier – von allen, die den Drachen im Lauf der Jahrhunderte bekämpft
haben –, der ihm schließlich gefährlich wurde. Der ihn besiegt hat, wenigstens für einige Zeit.« Ich schlug auf den Griff meines
Stocks. »Und ich bin offenbar der Einzige, der möglicherweise den Rest tun kann.«
Ihre saphirblauen Augen trübten sich, als sie Cairpré fragte: »Warum hat Tuatha den Drachen
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