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Merlin und die Feuerproben

Merlin und die Feuerproben

Titel: Merlin und die Feuerproben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas A. Barron
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nickte und ich machte mich bereit den
     Grundakkord zu zupfen. Die Linke legte ich fest um den Rahmen, bog die Finger der Rechten und legte sie zart auf die Saiten.
    Sofort stieg mir Wärme in die Fingerspitzen, den Armhinauf und durch den ganzen Körper. Eine neue Kraft, teils magisch und teils musikalisch, erfüllte mich. Die Haare auf meinen
     Handrücken hoben und wiegten sich alle zugleich, sie tanzten zu einem Rhythmus, den ich noch nicht hören konnte.
    Ein Wind kam auf, wurde mit jeder Sekunde stärker und peitschte die Äste der klingenden Eberesche. Von den bewaldeten Hügeln
     ringsum stiegen Blätter auf – zuerst Dutzende, dann Hunderte, dann Tausende. Blätter von Eichen und Ulmen, Weißdorn und Buchen
     glänzten so hell wie Rubine, Smaragde und Brillanten. Sie drehten sich langsam und trieben auf uns zu wie große Schmetterlingsschwärme,
     die nach Hause zurückkehren.
    Dann kamen andere Gebilde, die um die Eberesche wirbelten und mit den Blättern tanzten. Lichtfunken. Regenbogensplitter. Schattenbüschel.
     Aus der Luft formten sich Nebelschwaden zu weiteren Gestalten – dünne Spiralen, Schlangen, Knoten und Sterne. Immer weitere
     Formen tauchten auf, von wo, konnte ich nicht ergründen, sie bestanden weder aus Licht noch aus Schatten, auch nicht aus Wolken,
     sondern aus etwas anderem, etwas dazwischen.
    Alle diese Dinge umkreisten den Baum, angezogen von der Musik, der Magie, die kommen sollte. Was, fragte ich mich, würde die
     Kraft des Psalters als Nächstes bringen? Ich lächelte, weil ich wusste, dass es endlich an der Zeit war, mein Instrument zu
     spielen.
    Ich zupfte die Saiten.

III
DER DUNKELSTE TAG
    S owie meine Finger den Akkord anschlugen, spürte ich einen plötzlichen Hitzeschwall – stark genug, um mir die Hand zu versengen.
     Ich schrie und riss den Arm zurück, während die Saiten des Psalters mit einem ohrenbetäubenden Knall zerrissen. Das Instrument
     flog mir aus der Hand und ging in Flammen auf.
    Verblüfft sahen wir, wie der Psalter mit brennendem Rahmen und Schallbrett über uns in der Luft schwebte. Der Steg aus Eichenholz
     und die Saiten wanden und krümmten sich wie im Todeskampf. Zugleich verschwanden blitzschnell die Gestalten, die um die Eberesche
     gewirbelt waren – bis auf die vielen Blätter, die auf uns herunterregneten.
    Dann formte sich genau in der Mitte des lodernden Psalters ein schattenhaftes Bild. Wie die anderen hielt ich den Atem an.
     Denn bald festigten sich die Konturen zu einem wilden, finsteren Antlitz. Es war ein Gesicht des Zorns, der Rache.
    Es war ein Gesicht, das ich gut kannte.
    Da waren die feisten Wangen, das wirre Haar und die durchbohrenden Augen, die ich nicht vergessen konnte. Die knollige Nase.
     Die Ohrringe aus baumelnden Muscheln.
    »Urnalda.« Sogar der Name schien wie Feuer zu knistern, als ich ihn laut aussprach.
    »Wer?« Meine Mutter starrte erstaunt das flammende Gesicht an.
    »Sag schon«, drängte Cairpré. »Wer ist das?«
    Mit einer Stimme, die so brüchig war wie das Laub zu unseren Füßen, wiederholte ich den Namen. »Urnalda. Zauberin – und Herrscherin
     – der Zwerge.« Ich betastete den knorrigen Griff meines Stocks und dachte daran, wie sie mir vor langer Zeit einmal geholfen
     hatte. Ich dachte daran, wie schmerzlich das gewesen war. Und wie sie mir ein Versprechen abgerungen hatte, ein Versprechen,
     das mir wahrscheinlich noch weitaus größeren Schmerz bereiten würde. »Sie ist eine Verbündete, vielleicht sogar eine Freundin
     – aber eine, die man fürchten muss.«
    In diesem Moment krümmte sich der Rand meines Psalters noch mehr und explodierte in einem Funkenregen. Holzsplitter segelten
     zischend und fauchend durch die Luft. Einer entzündete ein Büschel trockener Beeren an dem Ast darüber, die aufloderten, bevor
     sie zu einer Faust voll Holzkohle schrumpften. Ein anderer brennender Splitter flog auf Rhia zu und verfehlte knapp ihre blätterumhüllte
     Schulter.
    Urnaldas Gesicht, von Flammen umrahmt, schaute böse auf uns herunter. »Merlin«, krächzte sie schließlich. »Es sein Zeit.«
    »Zeit?« Vergeblich versuchte ich zu schlucken. »Zeit wofür?«
    Flammenzungen schossen auf mich zu. »Zeit, dass du dein Versprechen einlöst! Deine Schuld gegenüber meinem Volk sein groß,
     größer, als du weißt. Denn wir haben dir geholfen, obwohl es gegen unsere Gesetze sein.« Sie schüttelte den großen Kopf, dass
     die Ohrringe aus fächerförmigenMuscheln klirrten. »Jetzt sein die Zeit

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