Merlin und die Feuerproben
Eberesche
stand. »Was ich wirklich brauche, ist etwas Starkes – sehr Starkes. Das mir gegen Valdearg hilft.«
Cairpré berührte mich am Arm. »Ich weiß, mein Junge. Glaub mir, ich verstehe das.«
Plötzlich deutete Rhia zum Himmel. »Was ist das?«
Der Dichter schaute hinauf – dann duckte er sich, als wäre er von einem unsichtbaren Prügel getroffen worden. Wie wir anderen
starrte er auf ein dunkles gezacktes Flügelpaar, das aus einer Wolke auftauchte. Und auf den blutroten Mund mit riesigen Zähnen.
Oder Fängen. Während das Wesen hoch über uns kreiste, wichen wir zum Stamm der alten Eberesche zurück.
»Nicht der Drache«, flehte meine Mutter und stieg über eine dicke Wurzel. Dann sah sie, wie die Gestalt eine scharfe Kurve
flog, und schüttelte den Kopf. »Nein, nein, schaut! Es ist nicht groß genug. Es sieht mehr wie eine gigantische Fledermaus
aus. Was in Dagdas Namen ist das?«
Cairpré rief mit erstickter Stimme: »Das kann nicht sein! Die letzten von ihnen sind schon vor langer Zeit ausgestorben.«
Er rieb seine Hand an der rauen Rinde. »Bleibt alle beim Baum! Bewegt euch nicht, damit es uns nicht sieht.«
»Was ist es?« Ich packte ihn am Arm. »Und warum spüre ich solche Angst tief in mir? Um mehr als unser Leben!«
»Weil dieses Wesen uns nicht nach dem Leben trachtet, obwohl es uns das leicht kosten könnte. Es will … deine Kräfte, Merlin.«
Bevor er noch mehr sagen konnte, drang ein hoher durchdringender Schrei über die bewaldeten Hügel. Er schmerzte mich körperlich,
schnitt mir in die Brust wie ein Schwert. Dann, als ein kalter Windstoß in die Eberesche fuhr, schlugen die Zweige ächzend
und knarrend um sich, während weitere Blätter und Beeren über die Kuppe flogen. In diesem Moment drehte sich die geflügelte
Bestie scharf in der Luft. Sie stürzte herunter, direkt auf uns zu.
Rhia keuchte: »Es hat uns gesehen!«
»Was ist es?«, fragte ich.
Cairpré kniff die Augen zusammen und spähte durch die schwankenden Äste. »Ein Kreelix. Es ernährt sich von den Kräften – der
Magie – anderer.«
Er versuchte sich vor Elen zu stellen und sie in einen Spalt im Stamm zu drängen. Doch sie stieß ihn weg. »Kümmere dich nicht
um mich!«, rief sie. »Beschütze
ihn
.«
Cairpré wandte den Blick nicht von dem fledermausähnlichen Wesen. »Diese Fänge …«
Entsetzt starrte ich die dunkle Gestalt an, die mit jeder Sekunde näher kam. Schon konnte ich drei schimmerndeFänge ausmachen. Und die krummen Klauen, die unter den Vorderkanten der Flügel herausragten. Fast spürte ich, wie sie sich
in mein Fleisch, meine Rippen, mein hämmerndes Herz gruben.
Wenigstens konnte ich das Untier von den anderen ablenken! Ich schaute auf mein Schwert hinunter, das halb unter Blättern
begraben am Fuß des Baums lag, dann fiel mir plötzlich eine mächtigere Waffe ein. Mein Stock! Ich riss ihn aus dem Gürtel.
Cairpré fiel mir in den Arm. »Nicht, Merlin.«
Ich machte mich frei. Mit dem Stab in der Hand sprang ich aus dem Wurzelgewirr.
Der Schrei des Kreelix durchschnitt die Luft und übertönte den Ruf des Dichters. Im selben Moment fiel der riesige Schatten
mit den hakenförmigen Flügeln auf die Eberesche. Die Bestie hatte den Baumwipfel gestreift und dabei Dutzende kleinerer Zweige
abgehauen, die auf mich herabregneten.
Ich packte meine Waffe und beschwor alle Kräfte, die in ihrem Holz verborgen waren.
Jetzt. Ich brauche eure Hilfe jetzt!
Das Kreelix legte sich auf die Seite und durchstach die Luft mit seinen Flügeln. Dann stieß es auf mich herab, das dichte
braune Fell auf Kopf und Körper war vom Wind platt gedrückt. Das Maul öffnete sich noch weiter, die Fänge schoben sich heraus.
Ich sah, dass dem Geschöpf die Augen fehlten – wie bei mir kam seine Sehfähigkeit woanders her.
Als die drei Fänge sich auf mich zubogen, trat ich zurück und blieb mit dem Absatz an einer Wurzel hängen. Ich versuchte das
Gleichgewicht zu halten, doch ich fielrückwärts. Der Stock flog mir aus der Hand und rollte den Hang hinunter.
Ich wollte mich aufrappeln – da berührte meine Hand den Ledergürtel mit der Scheide. Das Schwert! Ich packte den Griff. Als
ich die Klinge herauszog, gab es einen leisen Ton wie von weither.
Ich kam auf die Beine und hatte kaum Zeit, das Schwert zu heben, bevor das Kreelix angriff. Es flog direkt auf mich zu, Flügel
und Stimme lärmten gleichzeitig. Jetzt konnte ich die geäderten Falten seiner Ohren
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