Merlin und die Feuerproben
Niemand wird es dir übel nehmen, wenn du lieber hier bei uns
bleibst.«
Ich betrachtete die spröde Saite und den Holzsplitter in meiner Hand. Alles, was von meinem Psalter übrig war. Mein fehlgeschlagener
Versuch mit der höheren Magie. Wie konnte ich mit Stock und Schwert als einzigem Beistand auch nur hoffen einen mächtigen
Feind herauszufordern? Und dann noch Valdearg? Ich öffnete meinen Beutel mit Heilkräutern und wertvollen Gegenständen und
wollte gerade die verkohlten Reste hineinschieben – da überlegte ich es mir anders. Warum sollte ich so etwas behalten? Es
war nutzlos für mich und jeden anderen. Ich ließ sie auf den Boden fallen.
Zugleich berührte meine Fingerspitze im Beutel etwas Weiches. Eine Feder. Ich lächelte traurig beim Gedanken an den munteren
jungen Falken, der mir so viel gegeben hatte, auch meinen eigenen Namen. Der nie vor einem Kampf zurückgeschreckt war, noch
nicht einmal vor dem, der sein Leben beendet hatte.
Schließlich hob ich den Kopf. »Ich muss gehen.«
IV
EIN FERNER KLANG
C airpré wischte ein paar Blätter von meiner Schulter. »Wenn du gehst, mein Junge, solltest du das mitnehmen.«
Er bückte sich nach der geschwärzten Saite meines
Psalters, die ich weggeworfen hatte. Sorgfältig fischte er sie aus den Blättern und dem Gras zu meinen Füßen. Auf seiner Handfläche
sah sie aus wie die verkrümmte schwarze Leiche einer Schlange – als Baby getötet.
Ich schob seine Hand weg. »Warum sollte ich das haben wollen?«
»Weil du es gemacht hast, Merlin. Mit eigenen Händen gefertigt.«
Ich lachte höhnisch. »Es ist wertlos. Es erinnert mich nur daran, dass ich die Prüfung nicht bestanden habe.«
Seine wirren Brauen hoben sich. »Vielleicht. Und vielleicht nicht.«
»Aber du hast gesehen, was passiert ist.«
»Sicher habe ich es gesehen.
Meine Augen irrten nicht. Such das Licht, such das Licht!
« Er strich sich das angegraute Haar zurück. »Und ich habe gesehen, dass es dir gar nicht möglich war, zu spielen. Urnalda
hat dich unterbrochen, bevor du – oder die Saiten – irgendwelche Musik machen konntet. Wir wissen nicht, was geschehen wäre,
wenn du weitergemacht hättest.«
Ich schaute zu den knorrigen Wurzeln der großen Ebereschehinüber, wo ich so viele Monate an meinem Psalter gearbeitet hatte. Und zu den Werkzeugen in den verschiedensten Formen zu
allen möglichen Zwecken, die ich schließlich gelernt hatte anzufertigen. »Aber jetzt werden wir das nie mehr erfahren. Du
hast selbst gesagt, ich bekomme keine zweite Chance.«
Langsam nickte er. »Keine zum Bau eines magischen Instruments, das stimmt. Aber es wäre möglich, wenn auch sehr unwahrscheinlich,
dass deine Chance, dieses hier zu spielen, noch nicht vorbei ist.«
»Weißt du, er könnte Recht haben.« Rhia kam durch die fallenden Blätter näher. »Es gibt immer eine Möglichkeit.«
Ich schaute sie wütend an. »Mit verglühter Kohle kann man keine Musik machen!«
»Woher weißt du das?«, entgegnete Cairpré. »Du hast vielleicht Kräfte, die du noch nicht begreifst.«
»Kräfte, die ich nie erproben kann – ob mit oder ohne Drachen!« Zornig riss ich ihm die Saite aus der Hand. »Schau dir das
an! Wenn ein junger Zauberer es nicht fertig bringt, dass Musik aus seinem Instrument strömt, dann ist es mit seinem Wachstum
– seiner Möglichkeit, das zu werden, nun,
was immer
er werden könnte – vorbei, das weißt du so gut wie ich.«
Der Dichter schaute mich lange mit seinen unergründlichen Augen an. »Ja, mein Junge, das stimmt. Aber bei alldem gibt es vieles,
was wir nicht verstehen – ich jedenfalls verstehe es nicht.«
»Denk nur an all die Blätter«, sagte Rhia. »Noch bevor du anfingst zu spielen, hast du Dinge von überall her angelockt. Nicht
nur die Blätter, auch magische Dinge. SelbstUrnalda! Vielleicht hatte der Psalter schon angefangen seine Macht zu zeigen.«
»Das stimmt«, fügte Cairpré hinzu. »Und wer weiß? Vielleicht hat diese Kraft, die all die Blätter, all die Magie anzog, auch
etwas anderes herbeigerufen. Etwas, das noch nicht angekommen, das immer noch zu dir unterwegs ist.«
Skeptisch untersuchte ich die verdrehte Saite und das, was von dem Steg noch übrig war. »Ich glaube nicht, dass hier noch
etwas geblieben ist. Aber … es kann wohl nicht schaden, es eine Zeit lang aufzubewahren.«
Während ich die Reste in meinen Beutel schob, schaute ich zu meiner Mutter hinüber, die schweigend beim Stamm der
Weitere Kostenlose Bücher