Merlins Drache 01 - Basilgarrad
hatte die Stille es geschluckt.
Gut.
Er wusste, dass die Windschwester jetzt weit weg war.
Ich bin hier – allein.
Doch in Wahrheit war er nicht allein. In diesem Moment wurde er beobachtet. Nur ein paar Schritte entfernt hockten drei räudige Bluteber, die zu den grausamsten Tieren im Reich gehörten. Mit ihrem hervorragenden Geruchssinn und ihrer guten Sicht konnten sie jede Beute im Dunkeln finden. Dann übernahmen die schrecklichen Hauer und schwertscharfen Zähne den Rest.
Ohne die geringste Bewegung – die in diesem Tal mehr als genügend Lärm machen würde, um die Beute zu warnen – wandten die Bluteber ihre Aufmerksamkeit Basil zu. Er war zwar winzig, doch sie konnten das Fleisch an seinen Knochen riechen. Da sie seit Tagen nichts gefressen hatten, lief ihnen schon beim schwächsten Geruch dieses kleinen Bissens das Wasser im Maul zusammen. Der schaumige Speichel bildete sich bereits in ihren Maulwinkeln.
Basil war sich keiner Gefahr bewusst, als er die Schnauze an die Rankenblätter presste. Er leckte mit der Zunge darüber und spürte ihre zarten kitzelnden Haare. Dann fiel ihm ein winziger Erdklumpen auf, der in einer Nische zwischen zwei Blättern lag. Er holte ihn heraus und schluckte ihn.
Wir sind das Dunkel,
sagte eine Menge leiser Stimmen in ihm.
Viele Geheimnisse bewahren wir, viele Schätze bergen wir. Wir teilen unaufdringlich unsere Schönheit – doch nur mit solchen, deren Blick nicht blendet.
Basil blinzelte, plötzlich war er überzeugt, richtige Geschöpfe irgendwo in der Nähe zu spüren. Irgendwo in der Finsternis. Aber nein, er wusste es besser. Das waren die Stimmen der innersten Magie dieses Reiches – nichts anderes.
Wir bewahren auch Angst und Sehnsucht, Zorn und Leid sowie ein so tiefes Verlangen, dass es nicht benannt werden kann. Doch an diesen Plätzen des Schattens können blicklose Seher auch Wahrheit finden und Liebe und, ja – eine dunkle Art Licht.
Noch während die Stimmen wieder sagten
Wir sind das Dunkel
, spannten die Bluteber ihre mächtigen Beinmuskeln an und bereiteten sich darauf vor, zu springen. In der nächsten Sekunde würden sie losstürmen – und ihre unglückliche Beute zerreißen.
Zugleich regte sich auf der anderen Seite von Basil
ein anderes
Geschöpf im Dunkeln. Dessen Blick war auf Basil gerichtet – und anders als die großen, hungrigen Augen der Eber leuchteten diese Augen leicht grün. Sie sahen tatsächlich fast so aus wie Basils Augen. Denn das Geschöpf glich ihm – so sehr, dass es sein Zwilling sein könnte.
Sein eineiiger Zwilling.
Unbemerkt stieg dieses Geschöpf langsam und leise aus einem tiefen Loch im rankenbedeckten Boden. Zuerst kam die kleine, dreieckige Schnauze. Dann dieAugen, darunter die gewölbten, fledermausähnlichen Ohren. Danach kam der schuppige grüne Hals, Bauch und Rücken, darauf zwei zerknitterte Flügel. Obwohl kein Flügel gebrochen war, spiegelten sie die von Basil bis zu den Venen, die sich durch die ledrige Haut zogen. Dahinter baumelte ein dünner Schwanz ins Loch, der in einem knochigen Knubbel endete.
Nun konnte Basil nicht alles in dieser umfassenden Dunkelheit sehen. Aber hätte er sehen
können
und nach links geschaut, wäre er sofort entsetzt gewesen – denn er hätte drei tödliche Eber entdeckt, die ihn gleich in Stücke reißen würden. Und doch … hätte er nach rechts geschaut, wäre er sofort fasziniert gewesen. Denn er hätte das erste Geschöpf in ganz Avalon entdeckt, das ihm tatsächlich glich. Das erste Geschöpf, das ihm vielleicht endlich helfen konnte, das Rätsel seiner eigenen Identität zu lösen.
Die Beinmuskeln der Eber spannten sich weiter an. Die kräftigen Körper zitterten, zum Angriff, zum Töten bereit. Inzwischen saß Basil – der Salamander, den sie verschlingen wollten – ganz still, unbekümmert, sich keiner Gefahr bewusst. Und nicht weit entfernt … verließ der identische Salamander leise sein Versteck.
Als der Zwillingssalamander aus seinem Loch kam, streifte eins seiner Ohren ein Ravenalarankenblatt. Auf dem Blatt saß eine Laus, ein so kleines Insekt, dass man es auch bei Licht nur schwer bemerkt hätte. Als das Salamanderohr das Blatt berührte, ahnte die Laus sofort eine gute Gelegenheit für eine Mahlzeit undhängte sich an das Ohr. Es spürte die zarte Haut, öffnete das winzige Maul – und biss zu.
Der Zwillingssalamander spürte den Biss und schlug instinktiv mit dem Ohr. Der Ohrrand berührte die Schuppen auf seinem Hinterkopf mit einem
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