Merlins Drache 01 - Basilgarrad
in sich spüren konnte.
Ich fühle mich nicht weiser,
dachte er,
aber ich komme mir ein bisschen … größer vor.
Sternenlicht strömte über die Wolken, als er zu Aylah sagte: »Was auch geschieht … Ich bin froh, dass wir diese Reise gemacht haben. Weißt du, die Welt ist größer, als ich je gedacht hatte.«
»Genau, kleiner Wanderer, wie du.«
»Vielleicht«, entgegnete er mit einem leichten Grinsen, das abrupt verschwand. »Aber Rhita Gawr könnte alles ruinieren. Alles! Wir haben seit unserer Flucht so viel von der Welt gesehen, doch keine Spur von Merlin. Wir müssen ihn finden!«
Aylahs Atem blies ihm kälter ins Gesicht. »Wir müssen noch in die letzten Reiche, Wasserwurzel und Waldwurzel. Aber wir sind weit von ihnen entfernt, kleiner Wanderer. Um zu ihnen zu kommen, müssen wir ganz um den Baum fliegen, und das braucht seine Zeit – mehr Zeit, fürchte ich, als wir noch hhaben.«
Basil runzelte die Schnauze. »Gibt es eine Abkürzung?«
Sie bog nach links und umrundete einen spiraligen Nebelturm. »Ja, die gibt es. Aber ich muss dich warnen, sie würde uns zurück in die Finsternis führen. Nicht in die von Schattenwurzel … sondern in eine noch tiefere.«
»Unmöglich. Was für eine Finsternis meinst du?«
»Die am Rande der Anderswelt.«
»Die Welt der Geister?« Basil rutschte unbehaglich auf dem luftigen Kissen der Windschwester herum. »Aber die ist so weit entfernt! Wie kann das eine Abkürzung sein?«
»Statt dich ganz um den großen Baum zu bringen, würde ich dich
unter
dem Baum hhindurchtragen – unter den Wurzeln. Dann würden wir durch die Nebel fliegen, die beide Welten trennen – Nebel, die sehr tief und sehr finster sind.«
Basil schluckte. »Es ist mir egal, wie finster sie sind. Wenn uns diese Abkürzung schneller ans Ziel bringt, nehmen wir sie.«
Abrupt flog Aylah in die Tiefe. Sie schnitt so schnell durch die sternenbeleuchteten Wolken, dass pfeifende Winde rundum kreischten, sie schien mit den Lichtstrahlen um die Wette zu rasen. Basil, dem die Ohren fest an den Kopf gepresst wurden, stellte sich vor, er wäre ein großer Raubvogel, der aus dem Himmel schießt.
Die Wolken verdunkelten sich, als das Licht spärlicher wurde. Rechts sah er die zerklüftete Silhouette eines langen schwarzen Bergkamms, der völlig im Schatten lag, sodass die dunklen Wolken im Vergleich hell erschienen. Konnte das der Rand von Schattenwurzel sein?
Das Licht um sie herum wurde schnell schwächer. Während sie weiter hinunterflogen, beleuchteten vereinzelte Lichtquellen den Schaum einer nebligen Welle hier, die zerfetzten Dunstfäden einer Wolke dort. Dannwurde plötzlich alles schwarz. Finsternis verschluckte sie völlig.
Sind wir wieder in Schattenwurzel?,
überlegte er besorgt.
Oder ist das wirklich … der Rand der Anderswelt?
Immer noch dankbar für das kurze Zwischenspiel des Lichts zuvor spähte er um sich auf der Suche nach ein paar restlichen Strahlen. Aber nein, er sah nur Finsternis, in jeder Richtung ungebrochen. In der einheitlichen Schwärze konnte er überhaupt nicht ihr Tempo oder ihre Richtung beurteilen. Eigentlich überzeugten ihn nur das ständige Luftbrausen an seinem Gesicht und das schrille Pfeifen des Windes davon, dass sie sich überhaupt bewegten.
Doch nachdem er ein paar Augenblicke in die Finsternis gestarrt hatte, bemerkte er etwas Sonderbares.
Es ist nicht ganz schwarz dort draußen,
erkannte er überrascht. Er starrte angestrengter und überzeugte sich, dass er richtig sah.
Oder zumindest nicht überall gleich schwarz.
Er erkannte feine Unterschiede. Die Dunkelheit schien an einigen Stellen nicht heller zu sein – sondern
dünner.
In manchen Gebieten bildete dünne und dichte Finsternis Schichten wie Sand und Schlamm an einem Bachbett. In anderen gab es Adern von noch üppigerer Schwärze.
»Willkommen in der Anderswelt«, sagte Aylahs Stimme ihm direkt ins Ohr, laut genug, um über dem jammernden Wind gehört zu werden. »Jetzt sind wir unter den Wurzeln des großen Baums. Schau dich gutum, mein kleiner Freund … du wirst ein paar Dinge sehhen, die kein Sterblicher außer Merlin je gesehhen hat.«
»Niemand außer Merlin? Das habe ich nicht verdient.« Er kicherte und schwang den schlanken Schwanz. »Aber das wird mich nicht daran hindern, sie zu genießen.«
»Gut. Jetzt pass auf.«
Während Winde um sie herumpfiffen, flogen sie tiefer in diese neue, fein unterschiedene Finsternis. Bald sah Basil nicht nur Schichten, sondern
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