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MERS

MERS

Titel: MERS Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.G. Compton
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ungeheuerliche Tyrannei zerbröckelt wäre. Der Krieg hatte ein Ende gefunden. Frauen hatten den Krieg besiegt.
    Mein Glücksgefühl kühlte ab, wie Schweiß auf meiner Haut. Hatte mich die Äbtissin einfach bloß hier heraufgebracht, um ihre Freude zu teilen? Unten im Arbeitszimmer hatten wir von meiner Therapie gesprochen.
    »Ich soll meinen Impfstoff rechtfertigen.« Meine Zunge lag mir wie Blei im Mund. »Das Syndrom hat uns sinkende Bevölkerungszahlen beschert, und jetzt das Ende des Kriegs. Ich soll meinen Impfstoff rechtfertigen.«
    Sie blickte mich scharf an. Mir sank das Herz.
    »Sie sind sehr ehrlich«, sagte sie. »Nur eine sehr ehrliche Frau würde versuchen, mir meine Stille mit Rechtfertigung und Unerläßlichkeit zu zerstören…« Der Ausdruck gefiel ihr. Sie kaute darauf herum, wurde nachgiebig, lächelte, wurde eine freundliche, kahle, alte Frau mit großen Zähnen, die ein schäbiges blaues Gewand trug.
    »Ihre Mutter sagte mir, sie hätte einstmals Schauspielerin werden können. Ich ebenfalls. Darum sind wir hier heraufgekommen, wegen der Theatralik. Nicht wegen eines Katechismus.« Sie beugte sich näher zu mir. »Aber mir gefällt Ihre Intention. Sie sind ehrlich, aber mir gefällt Ihre Intention. Und natürlich werden wir Ihrer Tochter Schutz gewähren. Das ist unsere Pflicht. Wenn Sie ein Ungeheuer gewesen wären, könnten wir uns dennoch nicht weigern.«
    Sie tätschelte mir die Hand mit der aufgeklebten Abschirmung. Bestärkend, wie eine Mutter ein verwirrtes Kind ermutigt – du kannst das schon! Und was es auch immer war, genau jenen Augenblick lang konnte ich es.
    Ich hatte gedacht, wir würden wieder hinabgehen, aber sie hatte noch nicht genug von der Stille gehabt. Sie kehrte zu ihr zurück, wobei sie mich, da bin ich mir sicher, vergaß. Ich behielt meine ketzerischen Gedanken für mich, aber sie vermehrten sich. Kein Frieden, dachte ich, sondern vielmehr das Fehlen von Kriegen. Selbst so immerhin etwas. Ich stand neben ihr – was wäre, wenn meine durch den Impfstoff hergestellten Leiber vor eifrigen kleinen Soldaten nur so barsten? Was dann? Ich wußte es nicht. Ich war wieder aufrichtig.
    Wir gingen die Wendeltreppe in das Arbeitszimmer der Äbtissin hinab. Ich sorgte dafür, daß Anna, von Mark hergebracht, am folgenden Tag gegen Mittag im Kloster aufgenommen würde. Ich schickte sie mit Mark, weil die Sache folgendermaßen stand: je rascher ich einen vollen Tag an meinem Artikel arbeiten konnte, desto rascher könnte Natur ihn veröffentlichen und desto rascher wäre die ganze Affäre vorüber. Und außerdem wäre er im Zug ein besserer Aufpasser für sie.
    Wieder in Mantel und Handschuhen bat ich um eine Besichtigung der Schule. Anna erwartete nicht viel von einigen wenigen Wochen in einer Klasse an einer fremden Schule, aber sie hatte vernünftig gesagt, sie würde lieber Unterricht haben als herumsitzen und Däumchen drehen. Die Schule war sehr ordentlich. Sie glaubte deutlich an den Neuen Autoritarismus – sie hatte tatsächlich nie damit aufgehört, an den alten zu glauben. Schließlich hatte sie Oma beschäftigt, die niemals viel von der Benehmt-euch-völlig- ungezwungen-Mentalität des letzten Jahrhunderts gehalten hatte.
    Nach der Besichtigung blieb ich noch lange genug, um der Äbtissin einen Scheck auszuschreiben, und verabschiedete mich dann. Mama bekam ich nicht mehr zu Gesicht. Sie verbrachte ihre Nachmittage in der Videobibliothek, und die Äbtissin sagte, sie nähme ihre Arbeit sehr ernst. Ihre Arbeit im Haus der Illusionen. Wenig änderte sich. Nur daß für Mama alles viel besser geworden war. Es war ihr gelungen, nur ein bißchen meschugge zu werden – Nord-Nordwest, wie Hamlet. Sie war hinausgetreten, aber sie konnte wieder eintreten, wenn die Ereignisse ihre Anwesenheit erforderten. Ereignisse wie Wahrheitsliebe. Was für die Nicht-Wahrheitsliebenden hart, jedoch großartig für Mama war. Glückliche Mama.
    Hart? War ich hart?
    Es war fünfzehn Uhr dreißig und dämmrig, als ich den Zug nach Hause bestieg. Eis glitzerte bereits auf seinem Dach. Die Nacht brach an, während wir in die Berge hinaufstiegen. Ich blickte mich einmal um, sah die Lichter draußen auf der Insel. Falls ich mit einem männlichen Fötus schwanger ginge, würde ich ihn behalten. Marks Sohn würde niemals ein eifriger kleiner Soldat werden, und wir würden alle Nicht-Soldaten benötigen, die wir bekommen könnten.
    Vom Bahnhof aus nahm ich ein Taxi und entfernte unterwegs die

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