MERS
professioneller Gewichtheber und grinste kadaverhaft. Seine Zähne waren das Teuerste an ihm. »Ziemlich gut erholt. Also wollen wir uns statt dessen um die kleine Dame kümmern…«
Er schlüpfte zwischen ihnen hindurch und wandte sich um. »Bitte, wollen wir in mein Sprechzimmer hinabgehen? Sie sollten natürlich nicht hier oben sein. Diese verdammte Dienerin hätte nach mir schicken lassen sollen. Sie ist ein Stachel im Fleisch. Ein Kreuz habe ich mit ihr zu tragen. Wirklich.«
Er faßte Mark beim Ellbogen. »Aber Sie sind Leute von Welt. Für Leute von Welt ist es nicht so schockierend, einen alten Mann zu sehen, der sich ausruht?«
Und weg war er, jäh die Stufen hinabgestiegen, ehe ihm Mark das versichern konnte. Sie folgten ihm, wobei einer des anderen Blick mied.
»Das war rasch überlegt«, flüsterte Harriet.
»Erste Lektion auf der Journalistenschule – falle niemals mit der Tür ins Haus.«
Das Sprechzimmer war leer. Einen Augenblick später erschien Dr. Fateya, der sich die Hände mit einem Wegwerfhandtuch abtrocknete – zu Harriets Erleichterung. Er wartete höflich, bis Mark den Wink verstanden hatte und ins Wartezimmer hinüberging. Dr. Fateyas Untersuchung erfolgte klinisch gesehen nicht gerade nach allen Regeln der Kunst, aber er zeigte um so mehr altmodisches Taktgefühl. Sie konnte ihren Slip anbehalten. Feinfühlig bohrten seine knochigen alten Hände, und die Augen hielt er dabei geschlossen, als ob er horchte. Harriet stieß kleine, tapfere Schreie aus, als eine Blinddarmentzündung nicht diagnostiziert wurde. Er sagte: »Ach, was!«, dankte ihr daraufhin und ging nach draußen, um mit Mark zu sprechen. Wie es angemessen war, würde sie seine Diagnose durch ihren Gatten erfahren.
Die beiden Männer kehrten zurück. Mark erklärte ihr, alles sei in Ordnung, sie brauche sich keine Sorgen zu machen. So unfein war er nicht, daß er Winde erwähnt hätte. Dr. Fateya schloß seinen Glasschrank auf und reichte ihr ein verstaubtes Röhrchen mit Kohletabletten. Sie nahm sie bescheiden entgegen. Sie hatte während ihres ersten Jahres auf der medizinischen Akademie von Kohletabletten gehört und nahm eine. Die Anleitung auf dem Röhrchen war in einer Sprache geschrieben, die sie nicht verstand, vermutlich türkisch.
Murmelnd standen die beiden Männer zusammen, und Geld wechselte den Besitzer. Es sah nach ziemlich viel aus. Dann holte Mark den Johnny Walker aus der Tasche und fragte schüchtern, ob ein kleiner Schluck auf die gute Nachricht, den Blinddarm seiner Frau betreffend, gegen Dr. Fateyas religiöse Prinzipien verstieße. Das war nicht der Fall. Mark war so glücklich darüber, daß er sich über den Zustand seiner Frau keine Sorgen mehr machen mußte, und so bot er einen zweiten Schluck an.
Geräusche aus dem Wartezimmer kündigten einen weiteren Patienten an. Dr. Fateya steckte den Kopf durch den Vorhang, erklärte ausführlich etwas mit scharfen Worten, und der Patient ging davon. Alle drei gingen wieder nach oben, wo es, wie Dr. Fateya sagte, gemütlicher sei. Während er Harriet einen Stuhl unterschob, fragte er, ob die Kohletabletten Wirkung zeigten. Sie erwiderte, es müsse so sein. Sie fühle sich bereits besser.
Zwei Stunden lang waren sie oben in Dr. Fateyas Zimmer. Als der Whisky fast zur Neige gegangen war, hatte ihnen Dr. Fateya eine alte, rostfreie Thermosflasche aus einer verschlossenen Kiste hinten in einem der Schränke gezeigt. Selbst in diesem späten Stadium des Johnny Walker erhob er keinerlei Ansprüche auf die Flasche. Er hatte sie aus einem Laborkühlschrank gerettet, und zwar in den paar Augenblicken zwischen dem ersten und dem zweiten Raketeneinschlag im Biberianischen Forschungszentrum. Er hielt den Inhalt für einen der Bestandteile eines Impfstoffs im Versuchsstadium. Er hatte sie nie geöffnet; er war ein verantwortungsbewußter Wissenschaftler. Sie war ein Erinnerungsstück, nichts weiter, und er würde sie mit sich ins Grab nehmen. Er würde entsprechende Anweisungen hinterlassen. Harriet sah, wie bedeutend sie für ihn war. Er behandelte sie ehrfürchtig. Noch immer mit dem Emblem des Biberianischen Zentrums und der aufgeklebten Chargennummer versehen, stand sie für seine ruhmreiche Vergangenheit.
Seine Vergangenheit hatte einen Preis. Von Harriet gedrängt, der dabei ganz und gar nicht wohl zumute war, an dem alten Mann geistigen Diebstahl zu begehen, kaufte ihm Mark die Flasche für 30.000 Euros ab. Eine solche Summe hatte totemhafte Bedeutung. Dr.
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