MERS
rief hinauf: »Fateya? Aku Fateya?«
Es ertönte ein fernes Ächzen. Sie sagte zu Mark: »Ich gehe hinauf!«
»Hältst du das wirklich für richtig?«
»Ich glaube, das war wohl Mrs. Fateya, und ich glaube, sie hat mich eingeladen, hinaufzugehen. Ich glaube, sie hat uns beide eingeladen.«
Mark lachte leise. »Das hat sie ganz bestimmt getan.«
Der Raum oben war ebenso dämmrig und überladen, wie das Sprechzimmer hell und kahl war. Ein Eßtisch mit einer Platte aus falschem Marmor, dazu passende Eßstühle, ein Kleiderschrank, aus dem die Kleider herausquollen, zwei Sideboards mit Ahornmuster, eine vergoldete und verschnörkelte Porzellanschatulle, ein großer Fernsehapparat im Schweden-Stil, ineinander gestellte Kaffeetische aus grünem Onyx, viele Pappkartons. Von der Decke hing ein schmieriger Glaskandelaber, und in einer Ecke stand ein ungeheuerlicher, wulstiger Diwan mit einem hochaufragenden, herzförmigen Kopfteil aus gestepptem Satin, dessen rosa Färbung anscheinend das wenige erzeugte, was es hier an Beleuchtung gab. Ein noch älterer Mann, vermutlich Dr. Fateya, der einen tristen, europäischen Zweireiher mit allzu großen Schulterpolstern trug, lag auf dem Bett, in einer Anzahl rosafarbener Satinkissen gedrückt, und er betrachtete sie weder mit Überraschung noch mit Neugier. Einstmals mochte er gut ausgesehen haben, aber jetzt, im Alter, hatten seine tief in den Höhlen liegenden Augen bräunlichpurpurfarbene Ringe, auf den eingefallenen Wangen sprießte ein mehrtägiger, grauer Stoppelbart, und der formelle Kragen und die formelle Krawatte, die er trug, waren für den sehnigen Hals mehrere Nummern zu groß. Das Weiße in den Augen war blutunterlaufen, und die Lippen waren verkrustet. Er war entweder sehr krank, entschied Harriet, oder er litt an einem fürchterlichen Kater. Oder beides.
Auf der Türschwelle zögerte sie. Sie hatte eine lange Reise unternommen für ein professionelles Gespräch von Arzt zu Arzt. Michael Volkov hatte sie gewarnt, nicht zuviel zu erwarten, aber das hatte sie auf le vrai Dr. Fateya nicht vorbereitet. War dies Dr. Fateya? Dafür sah er zu alt aus. Dr. Fateya wäre in den Sechzigern – vielleicht war das hier sein Vater. Sie räusperte sich, warf einen Blick über die Schulter und war zum Davonlaufen bereit. Auf dem Tisch standen Gläser und drei leere Flaschen.
»Wir suchen Dr. Fateya«, sagte sie unsicher. »Dr. Aku Fateya…«
Mark drängte sich an ihr vorbei. »Guten Morgen, Doktor. Guten Morgen…« Seine Stimme ließ die Verzierungen auf den Sideboards klingeln. »Mein Name ist Kahn. Ich bin Journalist. Wie geht’s Ihnen? Meine Frau ist krank, und uns sind Ihre Dienste von einem unserer Freunde, Professor Volkov, empfohlen worden. Sie erinnern sich vielleicht an ihn. Er spricht voller Hochachtung von Ihnen.«
Die blutunterlaufenen Augen öffneten sich leicht.
»Voller Hochachtung. Sehen Sie, meine Frau hat heftige Schmerzen im Unterleib gehabt, und wir haben schon eine Blinddarmentzündung befürchtet. Wir sind Fremde in Ihrem wunderschönen Land, und wir benötigen dringend Ihren Rat.« Er ging auf das Bett zu, eine Hand zum Schütteln ausgestreckt. »Sie werden uns ganz bestimmt nicht enttäuschen, da bin ich mir sicher.«
Harriet war beeindruckt. Blinddarmentzündung? Die Strategie war gut, dem Mann über seinen Beruf Honig ums Maul zu schmieren. Die Wahl der Krankheit ebenfalls – beim Abtasten wüßte sie genau, welche Stellen die Schmerzen hervorriefen, die auf festsitzende Winde und nicht auf einen gereizten Blinddarm hindeuteten. Sie hoffte, Fateya wären sie bekannt. Sie war nicht gerade begeistert davon, seine Hand auf ihrem Unterleib zu spüren, aber das wäre ein kleiner Preis, der für sein Vertrauen zu zahlen wäre.
Dr. Fateya setzte sich im Bett auf. Er schleuderte seine Manschetten zurück und spannte daraufhin die Finger wie ein Pianist, der sich aufwärmte.
»Entschuldigen Sie, Mr… Kahn, nicht wahr? Mr. Kahn, Mrs. Kahn… ich habe geruht. Ich… die Wahrheit lautet, es geht mir nicht gut.«
»Das tut mir leid zu hören, Doktor.« Mark zog sich einen Schritt zurück. »Wenn Ihnen nicht danach zumute ist, meine Frau zu untersuchen, dann werden wir natürlich…«
»Nein, nein, nein…« Fateya war jetzt aufgestanden, richtete seine Krawatte und säuberte diskret seinen Mund mit dem glatten weißen Taschentuch aus seiner Brusttasche. »Nach dem Ausruhen, nun ja – ich habe mich soweit erholt.« Er beugte die Arme wie ein
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