MERS
Lehm-Straßen, darüber lehmbespritzte Markisen und darunter mit Lehm vollgesogene Laufbretter. Und natürlich Regen. Aku Fateya war sein Name. Dr. Fateya, wenn man dem Brett an seiner Tür Glauben schenken wollte.
Dank Maggi steckten meine Papiere im Safe in gutgeführten blauen Plastikordnern. Eine überraschende Anzahl, wenn man die erhältliche Kapazität des Zentralrechners berücksichtigte. Oftmals war es schneller gewesen, meine hingekritzelten Notizen über die Fortschritte der Forschung direkt abzuheften, als sie über eine Tastatur einzugeben. Das war einer der Vorteile, wenn man Projektleiter war. Es fehlte einem zwar die Disziplin, die einem die ausführliche Darstellung aufzwang, aber man sparte eine Menge Zeit.
Ich begann mit den Ordnern, suchte nach etwas – wonach, war ich mir nicht sicher… Anzeichen dafür, daß ›sie‹ sich daran zu schaffen gemacht hatten, wer ›sie‹ auch immer sein mochten. Und ich holte die Ergebnisse heraus, die ich vielleicht benötigte. Viel von dem Zeug war experimentell bestätigt worden oder hatte sich als falsch erwiesen: dieses fehlerhafte Ablesen von Daten um drei Uhr morgens, zu dem fast alle von uns imstande sind. Ich hatte Mitleid mit jedem diebischen Spion, der versuchte, den Daten einen Sinn abzugewinnen.
Aber es wäre nicht einfach irgendein Spion. Es wäre einer der Vier mit einem Schlüssel zu meinem Büro und der Safe-Kombination, und er wäre mit meiner Arbeit vertraut.
Ich hatte den Stapel zur Hälfte durchsucht, ich sortierte und klassifizierte, da blickte Gusso zur Tür herein. Gustav Polder nannte sich ›der Alibi-Mann‹ meines Teams. Er sorgte dafür, daß unser Genom-Projekt sowie das Labor reibungslos lief, und zwar angefangen von Petrischalen bis hin zu Elektronenmikroskopen. Er war älter als wir alle, ging auf die Fünfzig zu, und er war sehr erfolgreich mit einem Hausfrauen-Typ von Frau verheiratet, die sich nichts besseres vorstellen konnte, als daheim zu bleiben und sich um ihre drei Töchter zu kümmern. Er verabscheute körperliche Bewegung und war ziemlich beleibt, hatte ein großes Lächeln und erhob keinen Anspruch auf die gesunde Konstitution, mit der ihn seine Gene ausgestattet hatten. Er war über einen ausgezeichneten Abschluß in Mikrobiologie und fünfzehn unglückliche Jahre Arbeit in der Kosmetikindustrie zu mir gekommen. Ich hatte ihm das halbe Gehalt, jedoch wertvolle Arbeit in einer eigenen Abteilung bieten können.
Er lehnte sich an den Türpfosten. »Fröhlichen Freitag, Boss. Haben Sie diese RNA-Aufspaltung einschieben können?«
Verständnislos starrte ich ihn an. Dann dämmerte es mir. Ich wollte gestern, während meiner Stunde am Zentralrechner, eine kleine Arbeit für ihn erledigen.
»Gusso – tut mir leid. Ich hatte einen Termin beim Ministerium, und… der hat sich hingezogen. Ich hab’s anschließend nicht mal hierher zurückgeschafft.«
»N’importe rien. Ich hatte sowieso daran gedacht, morgen hereinzuschauen.« Er hatte ungewöhnlich weit auseinanderstehende Augen. Er kniff sie jetzt zusammen und sah mich wie durch einen Dunstschleier an. »Nichts schiefgelaufen, da? Im Ministerium?«
»Ein Haken, oder auch zwei.« Alle wußten sie, daß ich einen Antrag auf Veröffentlichung gestellt hatte. Ich hob die Schultern. »Nur ein Haken, oder zwei.«
»Mistkerle. Mistkerle…« Aber er hatte die Andeutung in meiner ausweichenden Antwort mitbekommen und verfolgte das Thema nicht weiter. »Wir werden eine Lösung finden.«
»Das hoffe ich doch.« Ich lockerte meine verkrampften Schultern. Schreibtischarbeit macht mich stets fertig. »Ich werde um zwölf Uhr ein Familientreffen hier abhalten. Fortschrittsberichte. Und so was. Ich hoffe, Sie können kommen.«
»Aber sicher.« Einen Augenblick lang stand er dort angelehnt und schlug dann ermunternd mit der Handfläche auf den Türrahmen. »A bientot, dann.«
Um fünf vor neun war Maggi die nächste, die eintraf. Sie blickte zur Tür herein, sah, daß ich beschäftigt war, und setzte sich im Vorzimmer an ihren Word-Prozessor. Während ich dem schwachen Geklapper der Kunststofftasten zuhörte, wurde mir klar, daß meine Sekretärin zur Zahl meiner Freunde und Kollegen hinzurechnet werden mußte, welche die Codes und Kombinationen kannten. Wenn auch nicht offiziell, so hätte sie diese leicht aufgrund ihrer bloßen Anwesenheit erhalten können.
Maggi Frik war eine muntere junge Lesbe mit einer ziemlich spießigen Geliebten im staatlichen Sperma-Sammeldienst.
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