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MERS

MERS

Titel: MERS Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.G. Compton
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Telefon anstarrte.
    Was, wenn er nicht vorbeikäme und sie ohne ihn gehen müßte? Sie suchte seinen Füller und schrieb auf seinen Notizblock: Karl, mein Lieber… Wo war er? Seine Vorlesung endete an jenem Morgen um elf Uhr. Selbst, wenn es Fragen gab, hätte er längst zurück sein sollen. Karl, Liebling, ich muß nach Hause. Da hat es einen Todesfall in der Familie gegeben. Das konnte sie nicht schreiben. Sie riß das Blatt ab, zerknüllte es und versuchte es erneut. Karl, Liebling, ich muß nach Hause zu meiner Mutter. Papa hat sich umgebracht, und…
    Ihre Schreibmuskeln brannten durch. Die Schreibmuskeln in ihren Fingern und in ihrem Kopf. Sie nahm den Notizblock und wanderte damit in Karls Arbeitszimmer auf und ab, suchte nach einer Stelle, wo sie ihn hinlegen konnte, damit er ihn nicht übersähe. Schließlich brachte sie ihn zu seinem Schreibtisch zurück.
    Sie las: »Papa hat sich umgebracht.« Sie hatte geschrieben ›meine Mutter‹. Hätte sie nicht schreiben sollen ›mein Vater‹? Nein, es war nicht unfair. Wegen ihrer Mutter, wegen des unausweichlich folgenden Streits hatte sie Papa niemals von Karl erzählt, und jäh war die Tatsache, daß er nichts von Karl gewußt hatte, das Allerschrecklichste. Das Allerschrecklichste, bereits tot zu sein und nicht zu wissen, daß seine Tochter einen schönen schwarzen Professor liebte und dieser sie liebte. Eine weitere Schuld auf der Schuldenliste ihrer Mutter, auf der Liste, deren Existenz ihrer Mutter unbekannt war.
    Natürlich hätte sich nichts geändert. Sie war bereits so glücklich gewesen, und er hatte es gewußt – so glücklich, am College ihrer Träume zu sein, die beste Studentin des Jahrgangs, den erträumten Kurs fürs Leben eingeschlagen zu haben –, daß das zusätzliche Glücksgefühl, das Karl bedeutete, das zusätzliche Glück, auch nichts mehr ausgemacht hätte. Sie hatte von seiner Traurigkeit gewußt, sich jedoch geweigert, die Verantwortung hierfür zu übernehmen. Sie weigerte sich noch immer. Er war älter als sie, ein großer, erwachsener Mann. Kinder waren nicht für ihre Eltern verantwortlich. Er hatte Selbstmord begangen, weil ihn niemand brauchte und weil er sich selbst nicht brauchte. Armer Papa.
    Nein. Das war gestern. Heute hieß es arme Mama. Und armer Danno. Vielleicht am meisten armer Danno. Papa war tot, und Papa war tot, und Papa war tot, und… die Uhr neben der Tür schlug halb eins. Und was noch?
    Sie wußte es nicht. Außer, daß sie ins Schlafzimmer gehen und einige Sachen in eine Tasche werfen mußte.
    Karl rief um zwölf Uhr fünfundvierzig an.
    »Liebling, ich war oben im Labor. Was ist?«
    Sie ließ die Finger durchs Haar laufen. »Labor? Du hättest nicht im Labor sein sollen. Du hattest eine Vorlesung. Du hättest nicht im Labor sein sollen.«
    »Du bist etwas angespannt, Liebling. Ich mußte mich um diese DNA-Sache kümmern. Hast du vergessen. Passiert schon. Sag Karl jetzt – weswegen bist du so angespannt?«
    Seine Stimme war sanft. Das brachte sie zur Vernunft. »Mein Vater hat sich umgebracht.« Sie konnte es aussprechen. »Ich muß nach Hause. Kommst du mit?«
    »Sich umgebracht? Wie schrecklich!«
    »Allerdings. Kommst du mit?«
    »Deine arme Mutter. Du Arme. Hat jemand deinem Bruder Bescheid gegeben?«
    »Mama. Sie hat zuerst bei ihm angerufen. Kommst du mit?«
    »Ich versuche, nachzudenken, Schatz. Es wird eine Beerdigung geben?«
    »Mama macht alles fest. Ich hab nicht gefragt, wann.«
    »Natürlich nicht. Wann fährst du?«
    »Gleich jetzt. So rasch ich kann. Kommst du mit?«
    »Wann fährt der Zug?«
    »Ich weiß es wirklich nicht. Sie fahren alle Stunde.« Sie horchte in das Schweigen. Karl dachte nach, und ihr wurde klar, daß sie es ihm sehr schwer machte. »Du kannst nicht mitkommen. Was könntest du deinen Studenten sagen? Es könnte Tage dauern.«
    »Ich muß ihnen gar nichts sagen. Das ist ein Notfall.«
    »Und dann der Dekan. Nein, Karl – ich hätte nicht fragen sollen.«
    »Doch, doch. Es geht um uns, Schatz. Dafür sind wir da.«
    »Nein, Karl – von dir hängt ein ganzes Sommersemester ab. Ich komme ganz gut allein zurecht.«
    »Natürlich. Aber ich möchte mitkommen.«
    »Du kannst nicht. Ich hätte nicht fragen sollen.«
    »Nun ja…«
    »Ich ruf dich an, sobald ich dort bin.«
    »Seinen Vater zu verlieren ist etwas Schreckliches. Unterschätze das nicht!«
    »Ich muß los, Karl.«
    »Vielleicht sollte ich dich am Bahnhof verabschieden.«
    »Bahnhofsabschiede sind

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