Messertänzerin
deine.«
Jolissa nickte. »Nichts über dich.«
Unruhig sah sie plötzlich über das große Becken hinweg auf eine füllige Frau, die suchend durch den Raum wanderte. Spontan stand Jo auf und raffte umständlich ihr Tuch zusammen.
»Sie wollen mich zur Hautpflege abholen. Wir können uns hier wieder treffen. In vier Tagen, gleiche Zeit?«
»Ich bin da!«
»Oh, und lauf nicht offen in der Stadt herum, ja? Trotz deiner neuen Haarfarbe …« Jolissa seufzte. »Seit der Umsiedlung habe ich schreckliche Angst um dich.«
»Umsiedlung?«, fragte Divya alarmiert. »Die ist doch erst nach dem nächsten Vollmond …«
»So war es geplant. Oh … tut mir leid, wusstest du das nicht?« Sie legte voller Mitgefühl die Stirn in Falten. »Das Attentat hat alles geändert. Die Tassari wurden gestern im Morgengrauen aus ihren Hütten gezerrt und in das neue Lager im Wilden Land gebracht.«
Ihre Worte schnürten Divya die Kehle zu. Heiser raunte sie: »Weißt du, wie es ihnen geht?«
Die Frau, die Jolissa suchte, kam inzwischen mit forschen Schritten direkt auf sie zu.
»Keine Ahnung.«
»Ich werde es herausfinden«, flüsterte Divya.
Jolissa fuhr noch einmal herum, Wut in den Augen. Dann bückte sie sich geistesgegenwärtig, als höbe sie etwas vom Boden auf.
»Das wirst du nicht tun! Niemand kann dorthin!«
»Habt Ihr etwas verloren, Herrin?«
»Ja, einen Ring«, sagte Jolissa fröhlich zu der Frau, die vor ihr stand. »Aber ich habe ihn bereits wiedergefunden, danke.«
Divya starrte noch eine Weile auf ihr Spiegelbild im Fußbecken, doch als Jolissa gegangen war, zerschlug sie das Bild mit der Hand.
Rocs Worte klangen ihr im Ohr: Hier in der Stadt schert sich schon kaum jemand um sie, draußen im Wilden Land sind sie richtig allein.«
»Ich bin schuld an ihrem Schicksal!«, flüsterte sie. »Ich wollte ihnen helfen – und habe es noch schlimmer gemacht.«
Sand
Die Stadtmauer ragte dicht neben den Häusern über vier Mannshöhen hoch auf, wie der Rand einer Schüssel, aus dem die Früchte sonst herausfallen würden. Divya legte den Kopf in den Nacken und blinzelte nach oben, wo Wachen in einem überdachten Wehrgang hin und her liefen, jeder auf einem Teilabschnitt, den er gut überblicken konnte. So unüberwindbar hatte sie sich das Bauwerk nicht vorgestellt.
Sie sprach eine freundlich wirkende alte Frau an einem Brunnen an und erzählte ihr, dass sie diese Mauer heute zum ersten Mal sah und sich aus Neugier hergeschlichen hatte.
»Mein Viertel liegt mitten in der Stadt«, sagte sie, passend zu ihrer dunkelroten Vesséla. »Hat Warkan diese Steinwand errichten lassen? Wovor fürchtet er sich, dass er sie so hoch bauen ließ?«
Die Frau deutete mit ihrem knöchrigen Finger auf die Mauer.
»Die ist nicht vom Fürsten, sie ist schon Hunderte von Jahren alt.«
»Gab es Krieg mit einer anderen Stadt?«
Die Frau runzelte die Stirn. »Was bringt man euch jungen Dingern heute eigentlich bei? Der letzte Krieg ist schon sehr lange her. Nein, als die ersten Siedler von Pandrea Häuser bauten, lebten hier bereits Wesen, die das Wilde Land als ihren Besitz sahen. Wir waren nur Teil ihrer eigenenSchöpfung und maßten uns an, ein Stück ihres Landes zu stehlen. Das machte sie wütend. Diese Wesen heißen Ur und Baar. Kennst du die Namen nicht?«
Divya schüttelte den Kopf.
Die Alte gab einen unwilligen Laut von sich und griff mit ihrer Hand nach Divyas Arm, um sie zu sich hinunterzuziehen. »Die alten Geschichten und Traditionen werden von diesem Fürsten mit Füßen getreten«, flüsterte sie erbost. »Du solltest wissen, wo du herkommst, Kind! Baar ist halb Frau und halb Katze. Sie steht für das Leben, sie hat uns alle geboren und in die Welt gesetzt. Ur ist halb Mann, halb Stier. Er steht für den Tod. Er wird dir das Leben wieder nehmen, wenn er es für richtig hält. Oder wenn du ihm zu nahe kommst. Wenn du ihm gegenüberstehst, senk sofort den Blick und wende dich ab! Sieh ihm niemals in die Augen!«
Divya nickte ergeben und riss sich los. Von dieser Verrückten würde sie wohl keinen Hinweis bekommen, wie sie über die Mauer gelangen konnte.
Zwei Tage lang beobachtete Divya das Geschehen entlang der Mauer, lauschte den Gesprächen der Menschen auf den kleinen Märkten in den äußersten Vierteln und sprach ab und zu mit Bauern, denn sie waren die Einzigen, die mit ihren Fuhrwerken hinausdurften. Irgendwann fiel Divya auf, dass sie zwar auf ihrem Weg in die Stadt hinein durchsucht wurden, aber nicht auf dem
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