Messertänzerin
Schritte weiter und setzte sich auf den kargen Boden.
»Entschuldige meinen Mangel an Gastfreundschaft, aber dieses Lager ist ein harter Schlag für uns.«
»Ist es so schlimm?«, fragte Divya besorgt.
»Nun, es geht so. Hier haben wir nur Zelte, die Hütten sind nicht mehr rechtzeitig fertig geworden, und der Boden ist wertlos. Purer Sand. Aber das ist kein Problem. Viel schlimmer ist der Mangel an Lebensmitteln und vor allem an frischem Wasser.«
»Haben sie euch keinen Brunnen gegeben?«, fragte Divya erschrocken.
Keiroan seufzte. »Doch, wir haben einen Brunnen, aber der ist sehr alt, viel Wasser ist nicht darin. Und die Nahrung, die man uns bringt … Ich will nicht undankbar sein, aber es ist viel zu wenig! Wir haben die Wachen schon mehrmals gebeten, bei Warkan für uns vorzusprechen, aber sie reagieren einfach nicht darauf.«
Divya musste an Rocs Worte denken. Aber das konnte doch nicht wahr sein!
Trotz der Dunkelheit spürte Divya, wie Keiroan in sich zusammensank. »Er will uns verhungern und verdursten lassen und wird nachher behaupten, wir wären an einer Krankheit gestorben.«
Er hatte ihre schlimmsten Befürchtungen ausgesprochen.
»Niemand kann so unmenschlich sein!«, widersprach sie kraftlos. »Ihr müsst irgendetwas unternehmen. Könnt Ihr nicht fliehen?«
Keiroan lachte bitter auf. »Du sprichst wie Bamas und ein paar andere. Aber mit hundertzwanzig Menschen quer durch das Wilde Land? Mit Alten und Kindern? Wie sollen wir das machen? Dafür brauchen wir Pferde, Fuhrwerke und sehr viel Proviant!«
Er stöhnte auf. »Wir haben schon beschlossen zu stehlen. So tief sind wir gesunken, dass wir nachts über die Mauer klettern, um Bauern zu bestehlen, die selbst kaum etwas haben.«
Divya drückte verzweifelt ihr Gesicht in ihre Handflächen. Sie hatte sehen wollen, wie die Tassari lebten, aber es war schlimmer, als sie es sich in ihren düstersten Albträumen vorgestellt hatte. Dieses Gefängnis war kein Ort, für den es sich zu leben lohnte. Nur ein Ort zum Sterben.
»Könnt ihr nicht jemanden um Hilfe bitten?«, fragte sie und rang verzweifelt nach einer Lösung. »Es heißt, ihr hättet euch mit den Rebellen verbündet. Und mit einem Magier. Können die euch nicht …?«
Keiroan schüttelte den Kopf.
»Nichts davon ist wahr. Alles Gerüchte, mit denen uns der Fürst beim Volk in Verruf gebracht hat! Bis ich das erste Mal davon hörte, wusste ich nicht einmal, dass es Rebellen gibt.«
»So ging es mir auch«, gab Divya zu.
»Rebellen! Dass ich nicht lache!«, wetterte Keiroan. »Ich hätte ja nichts dagegen, wenn jemand den Wind gegen Warkan drehen würde. Aber da weht nichts, nicht einmal eine sanfte Brise. Ich kann beim besten Willen nicht verstehen, warum ein Volk sich so von einem Menschen ausnutzen lässt!«
Divya nickte. Dieser Gedanke war ihr auch schon gekommen.
»Habt ihr irgendeine Idee, warum Warkan euch so hasst?«
Keiroan seufzte. »Das ist eine lange Geschichte, für die ich eigentlich keine Zeit mehr habe.«
»Was habt ihr denn …?« Divya wollte endlich fragen, was da Seltsames in dem Zelt vor sich ging, aber Keiroan ließ sie nicht aussprechen.
»Trotzdem, als Tassari hast du ein Anrecht auf die Geschichte. Noch bis vor Kurzem lebten wir in unserem Viertel, mitten in der Stadt, und wir durften arbeiten. Manchmal waren wir dem Volk sicher unheimlich, weil wir vor langer Zeit von weit her gekommen sind, aber manchmal fanden sie uns auch faszinierend und lauschten unseren Geschichten von anderen Städten …«
»… in denen die Menschen von Lichtern besessen sind?«, fragte Divya, die von der Köchin und Maita einiges gehört hatte.
Der alte Mann schnaubte. »Glaubst du auch alles, was dieser Fürst erzählt? Nein, diese Städte sind genauso, wie unsere es war – vor über fünfundzwanzig Jahren, bevor Warkan an die Macht kam. Lichter sind nichts Schlimmes, sie helfen uns. Das solltest du wissen, Naschiyn!«
Divya nickte, obwohl sie manchmal Zweifel hatte.
»Bis vor ein paar Jahren arbeiteten einige unserer Frauen sogar als Dienerinnen im Palast. Sie taten es nicht gern, aber die Bezahlung ernährte einen Großteil unserer Leute. Verua war unter ihnen.« Keiroan stockte, als fiele ihm die Erinnerung schwer. »Eines Tages putzte sie den Boden in Warkans Schreibzimmer, als er hereinkam. Er beachtete sie zuerst kaum, saß über einem Blatt Papier und schrieb. Und plötzlich sprach er Verua an, horchte sie aus über die Lichter . Er wusste, dass die Tassari sie
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