Messertänzerin
Eine richtige Straße, die hinaus ins Wilde Land führte. Wer mochte so etwas Sinnloses gebaut haben?
Geduckt kroch sie bis zu dem Busch, in dessen Schutz sie sich niederkauerte und aus ihrer Wasserflasche etwas Zuckerwasser in ein Schälchen füllte, das sie unter ihrer Vesséla getragen hatte. Sie wartete, bis die Dunkelheit so undurchdringlich war, dass sie die Hand vor Augen kaum noch hätte erkennen können – wären da nicht drei Lichter gewesen, die in der Zeit des Wartens aufgetaucht waren.
Von den Menschen auf dem Markt wusste sie, dass das Lager der Tassari an der Ostseite der Stadtmauer lag, mit drei direkt daran angebauten neuen Mauern und fern von jedem Tor. Divya huschte mit ihren Lichtern über die Ebene und folgte der Stadtmauer in einem weiten Bogen, damit sie keinesfalls zu nah herankam. Als sie endlich vor einer Wandstand, die quer von der alten Mauer wegführte, hoffte sie, dass sie das Lager gefunden hatte. Sie lauschte in die Nacht. Ob es auf dieser Seite Wachen gab? Nachdem sie eine Weile nichts gehört hatte, warf sie ihr Seil, kletterte nach oben und hockte sich mit angehaltenem Atem auf die Mauer.
Die Lichter , die sie bis hierher begleitet hatten, wichen auf einmal vor ihr zurück, sodass Divya im Stockdunkeln saß. Und der Stein unter ihren Stiefeln fühlte sich seltsam glatt an, wie poliertes Metall.
Die Stille kam Divya ungewöhnlich vor. Hätte es im Innern nicht ein Lagerfeuer und viele Stimmen geben müssen? Waren die Tassari womöglich gar nicht hier? Hatte Warkan sie doch woanders hingebracht?
Tastend befestigte sie das Seil an der anderen Seite. Langsam ließ sie sich daran hinabgleiten. Als sie den Kopf wandte, stand sie vor einem großen, kräftigen Mann, der sie sofort zu Boden warf und ihren Kopf in seinen muskulösen Arm einklemmte. Dabei drückte er seine Hand auf ihren Mund.
»Du bist keine Wache!«, stellte der Koloss fest. Divya meinte, die Stimme wiederzuerkennen. Wie hieß er noch? Bamas?
Sie versuchte den Kopf zu schütteln, aber es gelang ihr kaum.
»Wer bist du?«, zischte er. »Und wage es nicht, zu schreien!«
Damit nahm er die Hand ein Stück vom Mund.
»Divya.« Keine Reaktion. »Naschiyn!«, nannte sie ihren fremd klingenden anderen Namen.
Bamas versuchte in der Dunkelheit ihr Gesicht zu erkennen, ohne seinen Griff zu lockern.
»Du bist blond!«, sagte er, als wäre das ein Beweis dafür, dass sie log.
»Frauen färben ihr Haar eben gern«, erwiderte Divya trotzig. »Und nun lass mich endlich los!«
»Ich hatte Lichter über der Mauer gesehen«, erklärte er ruppig und ließ sie aufstehen. »Ich dachte, sie wollten uns warnen. Aber sie kommen nicht mehr zu uns. Seit der Umsiedlung sind sie alle weg. Keiroan sagt, das liegt an den Silberplatten auf der Mauer. Ich glaube aber, die Wesen haben uns einfach verlassen. Alleingelassen.«
Aus seiner Stimme konnte Divya die Angst heraushören.
»Ich muss mit Keiroan sprechen. Wo ist er?«, fragte sie. »Und wo sind alle?«
»Du kommst ungelegen«, erwiderte Bamas unwirsch.
Divya stieß die Luft aus ihren Lungen. »Hast du eine Ahnung, wie schwer es war, hierherzukommen? Bevor ich nicht mit ihm gesprochen habe, gehe ich bestimmt nicht wieder!«
Bamas schwieg eine Weile. Dann packte er Divya unsanft am Arm und schob sie mit sicheren Schritten durch die Nacht bis zum größten Zelt in der Mitte des Lagers. Er hob ein Stück Stoff an und machte ein seltsames Handzeichen. Im Innern entdeckte Divya ein kleines Feuer, sechs Tassari saßen mit geschlossenen Augen im Kreis wie bei einer Zeremonie. Einer der Männer wandte sich zu Bamas um, erhob sich zögernd und löste damit den Kreis auf. Keiroan! Verärgert kam er auf den Zelteingang zu, doch als er Divya im Widerschein des Feuers sah, flog ein angestrengtes Lächeln über sein Gesicht. Lag es am mageren Licht oder war er in den letzten Tagen wirklich um zehn Jahre gealtert?
»Mit deinem hellen Haar hätte ich dich beinahe nicht erkannt«, sagte er etwas fahrig. »Aber es ist gut so … wenn es dich schützt.«
Sie konnte seinem Ton anhören, dass er ihre Entscheidung nicht guthieß.
»Ich habe mir gewünscht, dich noch einmal sehen zu können. Aber ich habe nicht viel Zeit«, fuhr er leise fort und legte den Arm um sie. Flüchtig drehte er sich zu den Gestalten im Innern des Zeltes um. Eine davon war Verua, stellte Divya fest und lächelte ihr zu. Aber auch sie sah erschreckend schlecht aus.
»Gleich«, rief er halblaut, dann führte er Divya ein paar
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