Meteor
Neugier zu nahe treten und hineinfallen sollte, sah es schlecht für ihn aus. Die Wände des Schachts bestanden aus massivem glattem Eis, das keine Möglichkeit bot, sich festzuhalten. Hier kam keiner ohne Hilfe heraus.
Lawrence Ekstrom kam quer übers Eis. Er ging direkt auf Norah Mangor zu und schüttelte ihr fest die Hand. »Gut gemacht, Dr. Mangor!«
»Ich möchte doch annehmen, dass ich viel gedrucktes Lob zu sehen bekomme«, meinte sie.
»Daran wird es nicht fehlen«, versicherte Ekstrom. Er wandte sich an Rachel. Er sah aus, als wäre ihm ein Stein vom Herzen gefallen. »Nun, Miss Sexton, ist die professionelle Skeptikerin jetzt überzeugt?«
Rachel konnte sich eines Lächelns nicht erwehren. »Überwältigt wäre ein besseres Wort.«
»Gut. Kommen Sie bitte mit.«
Rachel folgte dem NASA-Direktor durch die Kuppel zu einem großen Blechkasten, der wie ein Frachtcontainer aussah. Er hatte Tarnbemalung und trug mit einer Schablone aufgespritzt die Buchstaben P-S-C.
»Von dort drinnen können Sie den Präsidenten anrufen«, sagte Ekstrom.
Ein abhörsicheres Kommunikationsmodul, dachte Rachel. Diese mobilen Kommunikationszellen gehörten auf dem Schlachtfeld zur Standardausrüstung, doch Rachel hatte nicht erwartet, bei einem friedlichen NASA-Einsatz darauf zu stoßen. Doch Ekstrom kam schließlich aus dem Pentagon und wusste zweifellos, wie man an solch ein Spielzeug herankam. Rachel konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass ohne Einwilligung des Direktors der NASA kein Kontakt mit der Außenwelt möglich war.
Du bist wohl nicht die Einzige, die nicht mehr erreichbar ist.
Nachdem Ekstrom ein paar Worte mit einem der Wächter vor dem Modul gewechselt hatte, wandte er sich wieder an Rachel.
»Viel Glück«, sagte er und ging.
Der Wachposten pochte an die Tür des Containers. Sie wurde von innen geöffnet. Ein Techniker steckte den Kopf heraus und winkte Rachel zu sich herein.
Drinnen war es dunkel und stickig. Im bläulichen Lichtschimmer eines Computermonitors konnte Rachel Racks mit Telefoneinrichtungen, Funk- und Satellitenkommunikationsgeräten erkennen. Sie musste jetzt schon gegen die Platzangst kämpfen.
Die kalte Luft in dem Gehäuse roch verbraucht und schal, wie ein Keller im Winter.
»Miss Sexton, bitte setzen Sie sich«, sagte der Techniker, der irgendwo einen Bürostuhl herbeigezaubert und vor den Monitor gerollt hatte. Er baute vor Rachel ein Mikrofon auf und stülpte ihr einen Kopfhörer über die Ohren. Aus einem Logbuch für Verschlüsselungspassworte tippte er eine lange Folge von Symbolen auf der Tastatur eines Geräts. Auf dem Monitor vor Rachels Augen erschien eine digitale Stoppuhr.
00:60 Sekunden.
Als die Uhr mit dem Countdown begann, nickte der Techniker zufrieden. »Eine Minute, bis die Verbindung hergestellt wird.« Er drehte sich um und verschwand. Die Tür schlug hinter ihm zu.
Rachel konnte hören, wie von außen abgeschlossen wurde.
Großartig.
Während sie im Dunkeln saß und die langsam rückwärts laufende Zeitanzeige verfolgte, wurde ihr bewusst, dass dies der erste Augenblick seit dem frühen Morgen war, der ihr allein gehörte. Als sie heute früh aufgewacht war, hatte sie keinen Schimmer davon gehabt, was sie an diesem Tag erwarten würde.
Außerirdisches Leben. Mit dem heutigen Tag war der größte aller Mythen kein Mythos mehr.
Erst nach und nach dämmerte es Rachel, dass dieser Meteoritenfund für die Wahlkampagne ihres Vaters eine absolute Katastrophe war. Die Finanzierung der NASA war zwar politisch längst nicht so umstritten wie die Sozialausgaben, die Ausgaben für ein öffentliches Gesundheitssystem und die Diskussion um die Freigabe der Abtreibung, doch ihr Vater hatte die NASA nun mal zu seinem Thema gemacht. Jetzt ging der Schuss gewaltig nach hinten los. In ein paar Stunden würden die Amerikaner wieder in einen Taumel der Begeisterung über einen Triumph der NASA fallen. Den Träumern würden die Tränen in die Augen steigen; Wissenschaftler würden den Mund aufsperren; Kinder würden ihrer Phantasie freien Lauf lassen. Die Frage von Dollars und Cents würde man im Hochgefühl dieses großartigen Augenblicks als kleinlich abtun. Der Präsident würde als Held wie der Phönix aus der Asche steigen, während der nüchterne Senator inmitten der Begeisterung als engstirniger Geizkragen ohne jeden Sinn fürs Abenteuer dastehen würde.
Das Piepsen des Computers riss Rachel aus ihren Gedanken.
00:05 Sekunden.
Der Bildschirm begann plötzlich
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