Meteor
sie RUBBS – ›reintreten und Bein brechen‹. Sie hob einen der Hüte hoch. Ein anscheinend bodenloses rundes Loch kam darunter zum Vorschein, das in die Tiefe des Gletschers führte. »Hier sollte man nicht hintreten.« Norah stellte den Pylon wieder an seinen Platz zurück. »Wir haben überall auf dem Gletscher Bohrungen vorgenommen, um seine innere Struktur zu überprüfen. Wie überall in der Archäologie ist die Tiefe, in der ein Objekt begraben liegt, ein Maßstab dafür, wie lange es dort gelegen hat. Je weiter unten es gefunden wird, desto länger hat es dort gelegen. Wenn wir ein Objekt unter dem Eis finden, können wir den Zeitraum seiner Ablagerung nach der Dicke der Eisschicht datieren, die sich darüber angesammelt hat. Zur Überprüfung der Genauigkeit unserer Messungen führen wir eine großräumige Untersuchung des Messgebiets durch, um sicherzustellen, dass das betreffende Gebiet ein einziges massives Eisstück ist und nicht etwa durch Erdbeben, Verwerfungen, Lawinen oder was sonst noch gestört wurde.«
»Und wie sieht es bei diesem Gletscher aus?«
»Absolut einwandfrei«, erklärte Norah. »Eine perfekte Tafel aus einem Stück. Keine Bruchlinien oder glazialen Verwerfungen.
Dieser Meteorit wurde in der Atmosphäre nahezu vollkommen abgebremst und hatte dann einen sehr steilen, so genannten ›statischen Fall‹. Er hat seit seinem Aufprall im Jahre 1716 unberührt im Eis geruht.«
Rachel glaubte, nicht richtig gehört zu haben. »Sie wissen genau, in welchem Jahr er heruntergekommen ist?«
Die Frage schien Norah zu überraschen. »Na klar, deshalb hat man mich doch gerufen. Ich kann im Eis lesen.« Sie deutete auf einen Stapel zylindrischer Eisstäbe. Sie sahen aus wie durchsichtige Fahnenstangen und waren jeder mit einem grellorangenen Anhänger markiert. Norah führte Rachel zu den Stäben. »Wenn Sie genau hinschauen, können Sie die einzelnen Schichten im Eis erkennen.«
Rachel bückte sich zu dem Stab hinunter. Aus der Nähe konnte sie sehen, dass er aus zahllosen Eisschichten mit ganz gering voneinander abweichender Durchsichtigkeit und Klarheit bestand. Die Dicke der Schichten variierte von papierdünn bis etwa sieben Millimeter.
»Jeden Winter gibt es massive Schneefälle auf den Eisschelf, die im Frühjahr antauen«, erklärte Norah. »Das erzeugt eine Kompressionsschicht pro Jahreszyklus, die man zählen kann. Wir fangen einfach ganz oben an – beim letzten Winter – und zählen rückwärts.«
»Wie das Zählen von Jahresringen bei einem Baum.«
»Ganz so einfach ist es nicht, Miss Sexton. Vergessen Sie nicht, dass wir uns durch viele Meter Eisschichten hindurchlesen müssen. Wir müssen uns an klimatologischen Gegebenheiten orientieren – Niederschlagsaufzeichnungen, Luftverschmutzungen und Ähnliches.«
Tolland und die anderen traten zu ihnen. Tolland lächelte Rachel an. »Sie weiß eine ganze Menge über Eis, nicht wahr?«
Rachel war seltsam erleichtert, Tolland zu sehen. »Ja, ich bin beeindruckt.«
Tolland nickte. »Übrigens, das von Dr. Mangor errechnete Datum 1716 stimmt genau. Die NASA hatte dieses Jahr schon errechnet, bevor wir herkamen. Dr. Mangor hat dann selbst Bohrkerne gezogen und eigene Tests angestellt. Sie konnte die Arbeit der NASA bestätigen.«
Rachel war beeindruckt.
»Zufällig kennen wir Berichte von frühen Forschungsreisenden«, ergänzte Norah, »die im nördlichen Kanada in eben diesem Jahr, 1716, einen hellen Feuerball am Nordhimmel gesichtet haben. Der Meteorabsturz wurde nach dem Namen des Expeditionsleiters als Jungersol-Meteor bekannt.«
Corky meldete sich wieder zu Wort. »Aus der Übereinstimmung der Bohrkerndaten und der historischen Aufzeichnungen ergibt sich also der eindeutige Beweis, dass wir es mit einem Bruchstück desselben Meteoriten zu tun haben, den Jungersol nach seinen Aufzeichnungen 1716 gesehen hat.«
»Dr. Mangor!«, rief einer der NASA-Männer an den Winden.
»Die Verspleißung der Trossenenden ist schon zu sehen!«
»Leute, die Führung ist vorbei«, sagte Norah. »Der Augenblick der Wahrheit ist gekommen.« Sie schnappte sich einen Klappstuhl und kletterte hinauf. »Alle mal herhören«, schrie sie so laut sie konnte, »in fünf Minuten ist es so weit!«
Wie die pawlowschen Hunde beim Futtersignal ließen die Wissenschaftler alles liegen und stehen und kamen nun überall aus der Kuppel zum Arbeitsbereich.
Die Fäuste in die Hüften gestemmt, nahm Norah Mangor ihre Domäne in Augenschein. »Okay, dann
Weitere Kostenlose Bücher