Metro 2034
Überläufer.«
Wachleute kamen hinzu gelaufen und befahlen ihnen, von der Draisine herunterzukommen. Dann, als sie Leonids Pass öffneten, tauschten sie Blicke, steckten die Handschellen wieder ein und führten die beiden zur Station. Dort brachte man sie in einen Wachraum. Die Soldaten flüsterten miteinander und warfen ihnen respektvolle Blicke zu, ehe sie den Raum verließen, um die Stationsleitung zu informieren.
Leonid hatte es sich erst mit wichtiger Miene in einem abgewetzten Sessel bequem gemacht. Nun sprang er auf, blickte durch die angelehnte Tür hinaus und winkte Sascha zu sich. »Die sind hier ja noch schlampiger als auf der Roten Linie«, prustete er. »Niemand bewacht uns.«
Sie schlüpften aus dem Wachraum, gingen zunächst zögerlich, dann immer schneller den Korridor entlang, und schließlich rannten sie los, Hand in Hand, damit sie sich nicht in der Menge verloren. Wenig später erklangen bereits Trillerpfeifen in ihrem Rücken, doch an dieser riesigen Station war es ein Leichtes unterzutauchen - hier waren sicher zehnmal so viele Menschen unterwegs wie an der Pawelezkaja. Nicht einmal in jener Vision, die Sascha an der Oberfläche gehabt hatte, hatte sie sich ein solches Gedränge vorstellen können!
Und hell war es hier, fast genauso wie dort oben. Sascha verdeckte ihre Augen mit der Hand, blickte nur durch einen schmalen Spalt zwischen ihren Fingern. Wo immer sie hinsah, entdeckte sie wunderliche Dinge Gesichter, Steine, Säulen -, und wäre Leonid nicht gewesen, hätten sie nicht ihre Finger ineinander verschränkt, sie wäre sicher gestolpert und verlorengegangen. Irgendwann würde sie hierher zurückkehren, versprach sie sich. Irgendwann .
»Sascha?«
Sie wandte sich um und sah Homer, der sie mit einer Mischung aus Angst, Wut und Verwunderung anstarrte. Sie lächelte: Ja, sie hatte den Alten vermisst!
»Was tust du hier?« Eine dümmere Frage hätte er den beiden flüchtenden jungen Leuten nicht stellen können. »Wir wollen zur Dobryninskaja!«, erwiderte sie atemlos. Sie liefen jetzt etwas langsamer, damit der Alte mit ihnen Schritt hielt. »Aber das ist Wahnsinn!Das darfst du nicht . Ich verbiete es dir!« Doch keines der Argumente, die Homer keuchend hervorpresste, konnte sie überzeugen.
Als sie die Stellung am Eingang zur Borowizkaja erreichten, hatte man die Grenzsoldaten offenbar noch nicht über ihre Flucht informiert. »Ich bin im Auftrag von Melnik hier. Lassen Sie mich sofort durch«, sagte Homer knapp zu dem diensthabenden Offizier. Der wollte schon den Mund öffnen, doch fand er keine Worte, salutierte vor dem Alten und machte den Weg frei.
Als der Posten hinter ihnen in der Dunkelheit versunken war, erkundigte sich Leonid höflich: »Sie haben doch gelogen, oder?« »Und?«, knurrte Homer. »Entscheidend ist, dass man es mit Überzeugung tut«, sagte Leonid anerkennend. »Dann merken es nur Profis.«
»Bleib mir vom Hals mit deinen Belehrungen!« Homer runzelte die Stirn und schaltete mehrmals seine schwächer werdende Lampe ein und aus. »Wir gehen jetzt bis zur Serpuchowskaja, aber weiter lasse ich euch nicht!«
»Du weißt gar nicht das Wichtigste«, sagte Sascha. »Es gibt ein Gegenmittel!«
»Was?« Homer kam aus dem Tritt, musste husten und blickte Sascha fast furchtsam an. »Wirklich?« »Ja!Die Strahlung!« »Die Bakterien lassen sich durch radioaktive Strahlung neutralisieren«, ergänzte Leonid.
»Aber Mikroben und Viren sind doch hundert-, nein tausendmal widerstandsfähiger gegen Strahlung als der Mensch. Und die Immunabwehr sinkt noch dazu.« Homer verlor die Beherrschung und fuhr Leonid an: »Was hast du ihr eingeredet? Warum schleppst du sie dorthin? Begreifst du nicht, was dort los sein wird!Niemand, weder ich noch ihr, kann das jetzt aufhalten!Nimm sie mit und versteck sie an einem sicheren Ort!Und du .« Er wandte sich Sascha zu.
»Wie konntest du ihm nur glauben. Diesem Profi!« Die letzten Worte spie er voller Verachtung aus. »Hab keine Angst um mich«, erwiderte das Mädchen leise. »Ich weiß, dass ich Hunter aufhalten kann. Er hat zwei Seiten, und ich habe beide erlebt. Die eine will Blut sehen, die andere die Menschheit retten.«
Homer warf die Arme in die Höhe. »Was redest du da? Da gibt es längst keine Seiten mehr, sondern nur noch ein einziges Ungeheuer in menschlicher Gestalt. Vor einem Jahr .«
Hastig berichtete der Alte von dem Gespräch zwischen Melnik und Hunter, doch Sascha ließ sich nicht umstimmen. Je länger sie Homer
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