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Metro 2034

Metro 2034

Titel: Metro 2034 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dmitry Glukhovsky
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er den Mut aufbringen? Schon allein bei dem Gedanken zitterten Homer die Hände. Ruhig, ruhig. Alles würde sich von selbst entscheiden, jetzt war nicht der richtige Augenblick für solche Gedanken. Aber das machte ihn nur noch nervöser.
    Ein Glück, dass das Mädchen verschwunden war!Im Nachhinein war es Homer unbegreiflich, dass er sie überhaupt in sein Abenteuer hineingezogen hatte. Wie hatte er es nur fertiggebracht, sie in diesen Löwenkäfig zu treiben? Schuld daran war allein sein überzogener schriftstellerischer Ehrgeiz; er hatte offenbar einfach verdrängt, dass sie gar kein Geschöpf seiner Fantasie war. Homers Roman war ganz anders geworden, als er es sich ursprünglich vorgestellt hatte. Er hatte sich einfach viel zu viel vorgenommen. Wie um Himmels willen wollte er in einem Buch all diese Menschen unterbringen?
    Allein die Menschenmenge, die der Alte jetzt passierte, hatte auf den wenigen Seiten doch gar keinen Platz. Außerdem sollte sein Roman kein Massengrab werden, wo einem ellenlange Namenslisten vor den Augen flimmerten und die bronzenen Buchstaben nichts über Gesicht und Charakter des Toten verrieten.
    Nein, das war ausgeschlossen!Sein ohnehin löchriges Gedächtnis würde all diese Menschen nicht mit an Bord nehmen können. Das pockennarbige Gesicht dieses Süßwarenhändlers oder das blasse, spitz zulaufende Antlitz des Mädchens, das ihm gerade eine Patrone hinhielt. Das Lächeln ihrer Mutter, leuchtend wie das einer Madonna, oder das lüsterne, klebrige Grinsen eines Soldaten, der gerade vorbeiging. Die tiefen Furchen in den Gesichtern der greisen Bettler dort oder die Lachfältchen dieser dreißigjährigen Frau . Wer von ihnen war ein Gewalttäter, wer ein Raffzahn, ein Dieb, ein Verräter, ein Lebemann, ein Prophet, ein Gerechter, wem war alles gleich, und wer hatte sich noch nicht entschieden?
    All das wusste Homer nicht. Er wusste nicht, was dieser Süßwarenhändler tatsächlich dachte, während er das kleine Mädchen ansah; was das Lächeln der Mutter zu bedeuten hatte, das von dem Blick des Soldaten entfacht worden war; und welches Gewerbe der arme Mann dort betrieben hatte, bevor ihm die Beine den Dienst versagten. Es war Homer nicht gegeben zu entscheiden, wer von ihnen das Recht auf Ewigkeit verdiente und wer nicht.
    Sechs Milliarden waren vernichtet worden, sechs Milliarden!War es etwa ein Zufall, dass sich nur einige Zigtausend hatten retten können?
    Zugführer Serow, dessen Stelle Nikolai hätte übernehmen sollen, hatte das Leben immer wie ein Fußballspiel betrachtet. Die Menschheit hat verloren, pflegte er zu Nikolai zu sagen, aber wir beide laufen noch immer herum. Was glaubst du, weshalb? Weil es in unserem Leben noch unentschieden steht, deshalb!Der Schiedsrichter hat uns eine Nachspielzeit gegeben. Bis zum Abpfiff müssen wir herausfinden, warum wir hier sind, die letzten Dinge regeln, alles geraderücken, und dann bekommen wir den letzten Pass und fliegen auf das leuchtende Tor zu . Er war ein Mystiker gewesen, dieser Serow. Homer hatte den begeisterten Fußballfan nie gefragt, ob er sein Tor bereits geschossen hatte.
    Doch war er durch Serow zu der Überzeugung gekommen, dass er, Nikolaj Iwanowitsch Nikolajew, seine persönliche Rechnung noch zu begleichen hatte. Und von Serow hatte er auch die Gewissheit, dass es in der Metro keine zufälligen Menschen gab.
    Aber es war doch völlig unmöglich, über sie alle zu schreiben!War es den Versuch überhaupt wert? In diesem Moment erblickte Homer unter Tausenden unbekannter Gesichter eines, das er hier am wenigsten erwartet hätte.
    Leonid warf die Jacke ab, zerrte sich den Pullover über den Kopf und dann noch sein ziemlich weißes T-Shirt. Dieses riss er wie eine Fahne in die Luft und begann es hin und her zu schwenken, ohne auf die Kugeln zu achten, die um ihn herum durch die Luft zischten. Und etwas Seltsames geschah: Die Diesellok begann zurückzufallen, und von der Festung, die vor ihnen aufragte, eröffnete man wider Erwarten nicht das Feuer.
    »Mein Vater würde mich jetzt umbringen!«, sagte Leonid, nachdem er die Draisine mit quietschenden Bremsen gerade noch vor den Panzersperren zum Stillstand gebracht hatte. »Was machst du? Was machen wir?«, fragte Sascha, noch immer atemlos. Sie begriff nicht, wie sie dieses Rennen heil hatten überstehen können.
    »Wir ergeben uns!« Er lachte auf. »Dies ist die Zufahrt zur Biblioteka imeni Lenina, da drüben ist der Grenzposten der Polis. Wir beide sind jetzt

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