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Metro 2034

Metro 2034

Titel: Metro 2034 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dmitry Glukhovsky
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und wir machen mobil.« Denis Michailowitsch strich sanft über das blaue Barett, das vor ihm auf dem Tisch lag, stand auf und setzte es sich auf den Kopf. So sah er offizieller aus.
    Aus dem Vorzimmer hörte man hastige Schritte, der Adjutant hielt mit fragendem Blick eine trübe Glasflasche mit etwas Alkoholischem darin durch den Türspalt. Istomin winkte ab: später, später!Dann endlich ertönte die bekannte dumpfe Stimme, die Tür flog auf, und eine breite Gestalt erschien in der Öffnung. Hinter dem Rücken des Brigadiers drückte sich der alte Märchenonkel herum, den jener aus irgendeinem Grund mitgeschleppt hatte.
    »Seid gegrüßt!« Istomin setzte sich in seinen Sessel, erhob sich und setzte sich wieder. »Nun, was ist?«, fragte der Oberst mit schneidender Stimme. Der Brigadier ließ seinen schweren Blick vom einen zum anderen schweifen und wandte sich an den Stationschef: »Die Tulskaja ist von einer umherziehenden Bande besetzt. Sie haben alle ermordet.« Denis Michailowitsch hob die buschigen Augenbrauen. »Unsere Leute auch?«
    »Soweit ich weiß. Wir sind bis zum Stationstor gekommen. Dort kam es zum Kampf, und sie haben die Sperre verriegelt.« »Das hermetische Tor?« Istomin krallte seine Finger in die Tischkante und erhob sich. »Was sollen wir jetzt tun?«
    »Stürmen«, rasselten Brigadier und Oberst synchron. »Nein, wir dürfen nicht stürmen!« Es war Homer, der plötzlich aus dem Hintergrund seine Stimme erhoben hatte.
    Sie musste nur die richtige Stunde abpassen. Wenn sie nicht die Tage durcheinandergebracht hatte, musste die Draisine schon bald im feuchten Nebel der Nacht erscheinen. Jede Minute, die sie noch länger an dieser Stelle zubrachte, an diesem Abhang, wo der Tunnel wie eine offene Vene aus dem Erdreich hervortrat, würde sie einen Tag ihres Lebens kosten. Doch ihr blieb nichts anderes übrig als zu warten. Auf der anderen Seite dieser unendlich langen Brücke würde sie auf ein versiegeltes hermetisches Tor treffen, das sich nur von innen öffnen ließ - einmal pro Woche, am Markttag.
    Heute hatte Sascha nichts anzubieten, dabei würde sie mehr einkaufen müssen als je zuvor. Doch es war ihr egal, was die Leute mit der Draisine von ihr als Gegenleistung für den Durchlass in die Welt der Lebenden verlangten -die Grabeskälte und leblose Gleichgültigkeit ihres Vaters waren auf sie selbst übergegangen.
    Wie oft hatte Sascha früher davon geträumt, dass sie eines Tages an eine andere Station gelangen würden, wo sie von anderen Menschen umgeben war, mit jemandem Freundschaft schließen, jemand Besonderem begegnen konnte .
    Sie hatte ihren Vater nach seiner Jugend ausgefragt, nicht nur um sich wieder in jene hell erleuchtete Kindheit zurückzuversetzen, sondern weil sie sich selbst insgeheim anstelle ihrer Mutter sah und anstelle ihres Vater das verschwommene Bild eines schönen jungen Mannes und sich so ihre eigene, naive Vorstellung von der Liebe machte. Sie sorgte sich, dass sie, wenn sie eines Tages tatsächlich in die Große Metro zurückkehrten, verlernt haben könnte, mit anderen Menschen umzugehen. Worüber würden diese Leute mit ihr sprechen wollen?
    Doch jetzt, wo bis zur Ankunft der Fähre nur noch wenige Stunden, ja vielleicht sogar Minuten blieben, jetzt waren ihr die anderen Männer oder Frauen -egal. Allein der Gedanke an eine menschenwürdige Existenz kam ihr wie ein Verrat an ihrem Vater vor. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, hätte sie jetzt eingewilligt, den Rest ihrer Tage an dieser Station zu verbringen, wenn sie ihn dadurch hätte retten können.
    Als der Kerzenstummel in dem Einmachglas bereits im Todeskampf flackerte, setzte sie die Flamme auf einen neuen Docht um. Bei einer seiner Expeditionen hatte ihr Vater eine ganze Kiste voller Wachskerzen erbeutet, und einige davon trug sie stets in den weiten Taschen ihrer Latzhose bei sich. Sascha gefiel die Vorstellung, dass ihre Körper genau wie diese Kerzen waren und dass ein kleiner Teil ihres Vaters auf sie übergegangen war, als er erlosch.
    Ob die Leute von der Draisine ihr Signal im Nebel erkennen würden?
    Bisher hatte sie nur von Zeit zu Zeit hinausgeblickt, um sich so wenig wie möglich im Freien aufzuhalten. Ihr Vater hatte es ihr verboten, und sein angeschwollener Kropf war ihr Warnung genug gewesen. Auf dem Abhang fühlte sich Sascha immer unwohl, gleichsam wie ein gefangener Maulwurf, blickte sich unruhig um und wagte sich nur selten hinaus bis zum ersten Joch der Brücke, um von dort auf

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