Metro 2034
Insgesamt zwei. Du kannst einen unserer besten Kämpfer mitnehmen. Wir werden warten.« Er warf einen Blick auf Denis Michailowitsch. »Was bleibt uns sonst übrig?«
Der Oberst seufzte. »Gehen wir zu den Jungs. Wir reden drüber, und dann suchst du dir deinen Begleiter aus.« »Nicht nötig.« Hunter schüttelte den Kopf. »Ich brauche Homer.«
7 - GRENZEN
Die Draisine fuhr über einen breiten, grellgelben Streifen, der über den Boden und die Wände des Tunnels verlief. Der Mann am Steuer konnte nicht mehr so tun, als ob er das immer schnellere Knacken des Geigerzählers überhörte. Er griff nach dem Bremshebel und murmelte entschuldigend:
»Herr Oberst . Ohne Schutz dürfen wir nicht weiter .« »Nur noch hundert Meter«, bat Denis Michailowitsch.
»Wegen der hohen Belastung bekommst du eine Woche frei. Für uns sind es nur zwei Minuten Fahrt, aber die beiden würden in ihren Anzügen eine halbe Stunde brauchen.«
»Das hier ist die äußerste Grenze, Herr Oberst«, murrte der Steuermann, wagte jedoch nicht die Fahrt zu verlangsamen. »Halt an«, befahl Hunter. »Wir gehen zu Fuß weiter. Die Strahlung ist wirklich hoch.«
Die Bremsen quietschten, der am Fahrgestell aufgehängte Scheinwerfer begann hin und her zu schwanken, und die Draisine kam zum Stillstand. Der Brigadier und Homer, die mit herabhängenden Füßen am Rand gesessen hatten, sprangen auf die Gleise. In den schweren Schutzanzügen aus bleigetränktem Stoff sahen sie aus wie Kosmonauten.
Diese Anzüge waren unvorstellbar teuer und selten; in der ganzen Metro gab es vielleicht ein paar Dutzend davon. An der Sewastopolskaja wurden sie so gut wie nie verwendet man schonte sie für besondere Einsätze. Sie hielten selbst stärkster Strahlung stand, doch dafür war jede Bewegung darin eine beschwerliche Angelegenheit, zumindest für Homer.
Denis Michailowitsch ließ die Draisine hinter sich zurück und ging noch ein paar Minuten neben ihnen her. Er und Hunter wechselten einige Sätze - absichtlich bruchstückhaft und verdichtet, damit Homer sie nicht entschlüsseln konnte.
»Wo wirst du sie hernehmen?«, fragte der Oberst den Brigadier mürrisch. »Sie werden mir schon welche geben. Es bleibt ihnen ja nichts anderes übrig«, erwiderte der andere dumpf und starrte vor sich hin. »Niemand erwartet dich. Du bist für sie gestorben. Tot, verstehst du?« Hunter blieb einen Augenblick stehen und sprach leise, weniger zu dem Offizier als zu sich selbst: »Wenn das alles so einfach wäre.« »Aus dem Orden zu desertieren ist schlimmer als der Tod«, knurrte Denis Michailowitsch. Der Brigadier machte eine unwirsche Handbewegung, wie um dem Oberst
zu salutieren, aber zugleich ein unsichtbares Ankerseil zu durchtrennen. Denis Michailowitsch verstand die Geste und blieb am Kai zurück, während sich die beiden anderen langsam, gleichsam gegen die Strömung, vom Ufer entfernten und ihre große Fahrt über die Meere der Finsternis antraten.
Der Oberst nahm die Hand von der Schläfe und gab dem Steuermann auf der Draisine das Signal, den Motor zu starten. Er fühlte sich leer: Es gab niemanden mehr, dem er ein Ultimatum stellen, niemanden, gegen den er kämpfen konnte. Als Militärkommandant einer einsamen Insel im Meer konnte er nur noch darauf hoffen, dass der kleine Expeditionstrupp nicht unterging, sondern eines Tages zurückkehren würde, von der anderen Seite, gewissermaßen als Beweis dessen, dass die Erde rund war.
Der letzte Wachposten im Tunnel hatte sich gleich hinter der Kachowskaja befunden und war fast menschenleer gewesen. So lange Homer zurückdenken konnte, waren die Sewastopoler noch nie von Osten angegriffen worden. Der gelbe Strich schien nicht nur diesen endlosen Beton-schlauch in zwei willkürliche Abschnitte eingeteilt, sondern gleich einem kosmischen Aufzug zwei Planeten miteinander verbunden zu haben, die sich Hunderte von Lichtjahren voneinander entfernt befanden. Jenseits der Linie war der bewohnte Erdenraum beinahe unmerklich in eine tote Mondlandschaft übergegangen die beiden waren sich auf trügerische Weise ähnlich. Während Homer sich darauf konzentrierte, in den kiloschweren Stiefeln nicht über seine eigenen Füße zu stolpern, und vernahm, wie sich sein Atem angestrengt durch ein komplexes System von Schläuchen und Filtern zwängte, stellte er sich vor, er sei ein Astronaut, den man auf dem Trabanten eines weit entfernten Sterns ausgesetzt hatte. Er verzieh sich diese kindische Fantasie, denn so war es leichter, sich
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