Metro2033
hauptsächlich ein Marktplatz, dort lebt niemand so richtig. Aber der Übergang zum Ring ist da, zur Hanse also. Die Station auf der Sternlinie ist Niemandsland, aber die Soldaten der Hanse patrouillieren dort, damit Ordnung herrscht. Das bedeutet, dass wir uns still verhalten müssen, verstanden? Sonst jagen sie uns zum Teufel, verbieten uns den Zugang zu ihren Stationen, und wir schauen in die Röhre. Deshalb, sobald wir dort ankommen, kletterst du auf den Bahnsteig und bleibst da sitzen, und zwar ohne mit deiner Höllenmaschine« - Bourbon nickte in Richtung der leidgeprüften Kalaschnikow - »groß rumzuwedeln. Ich muss da ... was mit jemandem bereden, das heißt, du wirst auf mich warten müssen. Dann sehen wir weiter, wie wir die verdammte Strecke bis zur Sucharewskaja schaffen.«
Bourbon verstummte, und Artjom blieb sich selbst überlassen. Der Tunnel war eigentlich nicht schlecht, nur etwas feucht - und neben den Gleisen strömte ein kleines dunkles Rinnsal. Nach einiger Zeit vernahmen sie jedoch ein leises Rascheln und Piepsen, das Artjom vorkam wie ein Nagel, der über Glas kratzt, und ihn vor Ekel erschaudern ließ. Die kleinen Kreaturen waren noch nicht zu sehen, aber ihre Anwesenheit wurde zunehmend spürbar.
»Ratten!« Artjom spie das abscheuliche Wort hervor, während es ihm kalt den Rücken hinunterlief. In nächtlichen Albträumen suchten sie ihn noch immer heim, obwohl die Erinnerung an jenen furchtbaren Tag, als seine Mutter und die ganze Station Timirjasewskaja im Strom der Ratten umkamen, schon fast erloschen war. Erloschen? Nein. Die Erinnerung daran war nur tiefer eingedrungen, wie eine Nadel tiefer in den Körper eindringt, wenn man sie nicht rechtzeitig herauszieht. Wie ein Splitter weiter wandert, den ein ungeschickter Chirurg übersehen hat. Zuerst verbirgt er sich und verharrt reglos, ohne Schmerzen zu erzeugen oder sonst irgendwie aufzufallen. Doch irgendwann beginnt er, von einer unbekannten Kraft in Bewegung gesetzt, seine zerstörerische Reise durch Arterien und Nervenknoten, reißt lebenswichtige Organe auf und setzt seinen Wirt unerträglichen Qualen aus. Genauso war die Erinnerung an jenen Tag, an die blinde Raserei und sinnlose Grausamkeit der unersättlichen Tiere tief in Artjoms Unterbewusstsein vergraben. Nachts suchte sie ihn heim, peitschte ihn mit elektrischen Stößen, ließ seinen Körper beim Anblick, ja schon beim Geruch dieser Wesen reflexartig zusammenzucken. Bei Artjom und seinem Stiefvater und vielleicht auch bei den anderen vier Männern, die sich damals mit der Draisine gerettet hatten, riefen Ratten unvergleichlich mehr Panik und Ekel hervor als bei anderen Metro-Bewohnern.
An der WDNCh gab es fast keine Ratten. Überall standen Klappfallen, und es wurde Gift gestreut, daher hatte Artjom schon lange keine mehr zu Gesicht bekommen. In der restlichen Metro jedoch wimmelte es nur so davon - was Artjom vergessen oder verdrängt hatte, als er sich auf die Reise machte.
»Haben sie dich etwa erschreckt?«, erkundigte sich Bourbon spöttisch. »Du magst sie nicht? Bist du aber empfindlich. Gewöhn dich besser dran. Ratten gibt's hier auf Schritt und Tritt. Was aber auch sein Gutes hat: So muss man nie hungern.« Er grinste. »Aber mal ohne Scherz: Du solltest dir eher Sorgen machen, wenn keine Ratten da sind. Wo nicht mal Ratten leben wollen, musst du mit dem Schlimmsten rechnen. Und wenn dieses Schlimme keine Menschen sind, Mann, dann solltest du dich wirklich fürchten. Dort, wo Ratten rumlaufen, ist dagegen alles in Ordnung. Kapiert?«
Diesem Typen wollte Artjom nun wirklich nicht seine innersten Ängste anvertrauen, und so nickte er nur schweigend. Viele Ratten gab es hier ohnehin nicht, sie mieden den Schein der Taschenlampe und machten sich kaum bemerkbar. Eine jedoch kam Artjom unter die Füße, sein Stiefel trat plötzlich auf etwas Weiches und Glitschiges, und ein durchdringendes Kreischen schmerzte in den Ohren. Vor lauter Überraschung verlor Artjom das Gleichgewicht und wäre beinahe mit seiner ganzen Ausrüstung auf die Gleise gefallen.
»Keine Panik, Junge«, sagte Bourbon aufmunternd. »Das geht ja noch. In diesem Schweinestall hier gibt es ein paar Gänge, wo sie nur so aufeinander hocken, da musst du einfach über sie drüber gehen. Manchmal knackst es dann richtig schön unter deinen Füßen.« Er lachte laut auf, zufrieden mit dem erzielten Effekt.
Artjom schüttelte es. Er schwieg weiter, aber seine Finger ballten sich zu Fäusten. Wie gerne
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