Metro2033
Pilze, während Danila das Schweinefleisch in kleine Stücke schnitt.
»Hast du die Bibliothek denn jemals selbst gesehen?«, fragte Artjom kurz darauf mit vollem Mund.
»Du meinst die >Große Bibliothek«, präzisierte der Brahmane mit strengem Blick.
Artjom deutete mit der Gabel zur Decke. »Die dort oben ... Sie ist doch noch dort?«
»Zur Großen Bibliothek steigen nur unsere Ältesten hinauf. Und die Stalker, die für die Brahmanen arbeiten.«
»Also sind sie es, die die Bücher aus der Bibliothek hierher bringen ...« - Artjom bemerkte, dass Danila erneut die Stirn runzelte - »... ich meine, aus der Großen Bibliothek?«
»Ja, das tun sie, aber nur im Auftrag der Ältesten unserer Kaste. Wir können es nicht selbst, deshalb müssen wir uns dieser Söldner bedienen. Laut unserem Vermächtnis wäre es eigentlich unsere Aufgabe, das Wissen zu bewahren und an die Suchenden weiterzugeben. Aber um Wissen weiterzugeben, muss man es sich erst beschaffen.« Danila seufzte und hob die Augen. »Und wer von uns würde sich je dort blicken lassen?«
»Wegen der Strahlung?«
»Deswegen auch.« Danila senkte die Stimme. »Aber vor allem wegen der Bibliothekare.«
»Das verstehe ich nicht. Seid ihr denn nicht die Bibliothekare? Na ja, oder deren Nachkommen? Mir hat man das so erzählt.«
»Weißt du was? Lass uns beim Essen nicht darüber reden. Ich mag das Thema nicht besonders.«
Danila begann den Tisch abzuräumen. Plötzlich hielt er eine Sekunde lang inne, trat an sein Regal und schob einen Teil der Bücher beiseite. Zwischen zwei Bänden in der hinteren Reihe kam eine Lücke zum Vorschein, aus der eine bauchige Flasche mit Selbstgebranntem glänzte. Dazu fanden sich zwei geschliffene Gläser.
Während sie trinkend dasaßen, betrachtete Artjom interessiert das Bücherregal. Schließlich sagte er: »Wie viele Bücher du hast! Wahrscheinlich kommt unsere ganze Bibliothek an der WDNCh nicht auf so viel. Dort habe ich schon lange alles durchgelesen. Allein deswegen wollte ich immer mal zur Polis kommen - wegen der Großen Bibliothek. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie viele Bücher es da oben gibt, wenn man dafür so ein riesiges Gebäude errichten musste.« Er deutete mit dem Kopf auf die Zeichnung an der Wand.
Geschmeichelt von Artjoms Worten, beugte sich Danila vor. »All diese Bücher haben überhaupt nichts zu bedeuten. Und die Große Bibliothek wurde nicht deswegen gebaut. Nicht sie werden darin aufbewahrt.«
Artjom blickte ihn verwundert an. Der Brahmane öffnete erneut den Mund, doch plötzlich stand er auf, ging zur Tür, öffnete sie leicht und horchte. Dann schloss er sie leise, setzte sich wieder und fuhr flüsternd fort: »Die Große Bibliothek ist nur für ein einziges Buch errichtet worden. Es wird dort an einem geheimen Ort aufbewahrt. Die anderen Bücher dienen nur dazu, es zu verstecken. Nach diesem einen Buch suchen alle. Und nur dieses Buch bewachen sie dort.« Ein Schauder ergriff ihn.
»Was ist das für ein Buch?«, fragte Artjom, nun ebenfalls mit gesenkter Stimme.
»Der Alte Foliant. Auf anthrazitschwarzen Seiten ist dort mit goldenen Lettern die gesamte Geschichte niedergeschrieben. Bis zum Ende.«
»Und warum suchen sie es?«
»Verstehst du denn nicht? Bis zum Ende. Von allem. Aber das ist noch fern. Wer über dieses Wissen verfügt...«
Hinter dem Vorhang war einen Augenblick lang ein schwacher Schatten zu erkennen. Artjom bemerkte es, obwohl er Danila ansah, und gab ihm ein Zeichen. Dieser brach mitten im Satz ab und stürzte zur Tür. Artjom eilte hinterher.
Draußen war niemand zu sehen. Nur aus dem Übergang zur Arbatskaja hörten sie eilige Schritte sich entfernen. Die dort postierten Wachleute schliefen friedlich zu beiden Seiten der Rolltreppe.
Als sie ins Zimmer zurückkehrten, dachte Artjom, der Brahmane werde seine Geschichte fortsetzen, doch dieser war mit einem Mal nüchtern geworden und schüttelte mürrisch den Kopf. »Wir dürfen das nicht erzählen. Dieser Teil unseres Vermächtnisses ist nur für Eingeweihte bestimmt. Ich habe zu viel ausgeplaudert. Merke dir: Was du eben gehört hast, darfst du unter keinen Umständen weitererzählen. Wenn irgendjemand erfährt, dass du von dem einen Buch weißt, wirst du einen Haufen Probleme bekommen. Und ich ebenfalls.«
Plötzlich begriff Artjom, warum seine Hände zu schwitzen begonnen hatten, als Danila ihm von dem Buch erzählte. Mit pochendem Herzen fragte er: »Es gibt doch mehrere davon, nicht?«
Danila
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