Metropolis brennt
dicht vor den Transparentwänden am Boden. Es waren Männer in mittleren Jahren, von zarter, fast zerbrechlich wirkender Statur, wie es bei den Innenweltlern üblich war. Ihre Körper waren über hauchzarte Hohldorne mit den Adern, Venen und Nerven des Heims verbunden. Mayda konnte die pulsierenden Lebenssäfte in der Transparentwand gut erkennen. Die Existenzadern waren blau.
„Ganz ruhig“, flüsterte sie der Laufschnecke zu. „Du darfst sie nicht stören. Sie haben eine schwierige Aufgabe zu erfüllen.“
Mayda hatte es von ihrer Ziehmutter gehört. Vor ein paar Tagen hatte das Heim auf seinem Langen Weg eine Wolke aus Winzigkristallen durchquert und sich dabei eine Rudimentärinfektion zugezogen. Die Heimsprecher waren damit beschäftigt, mit ihren Pro- und Bittstimmen die Infektionsherde tief im Leib des Heims aufzulösen und unschädlich zu machen. Es würde ihnen natürlich gelingen – es waren schließlich sehr erfahrene und weise Heimsprecher –, aber es war dennoch schwierig. Mayda vernahm das gedankliche Wispern irgendwo hinter ihrer Stirn, und sie bedauerte es, daß man es ihr bisher nicht gestattet hatte, ebenfalls mit dem Heim zu sprechen. Sie war neugierig. Aber sie respektierte auch das Verbot der Älteren. Mit ihrem Dunkelsichtfaktor beobachtete sie die Transparentwände des Heims. Blaue Existenzadern. Bald mochte das Blau sich in strahlendes Weiß und dann in Rot verwandeln. Ein weiterer Regenerationszyklus. Mayda war dann elf Zyklen alt. Bald mußte die Entscheidung fallen. Sie fürchtete sich davor.
„Mayda?“ Sie erschrak. Sie war in Gedanken versunken und hatte nicht bemerkt, daß sich einer der Heimsprecher zu ihr umgedreht hatte. „Geh bitte. Du bist ein … Störfaktor. Du machst unsere Arbeit schwieriger.“
„Entschuldigung.“ Freund zischte erbost und fuhr seine Augen ganz aus. Auch er spürte die Ablehnung, die seiner Freundin entgegenschlug. „Ich bin auf dem Weg zu meiner Wirklichen Mutter. Ich wollte euch nicht stören, ehrwürdige Heimsprecher.“ Sie setzte sich wieder in Bewegung. Freund folgte ihr, schenkte den Heimsprechern aber noch ein zweites empörtes Zischen. Dann kuschelte er sich wieder an die Beine Maydas.
Du störst, hallten die Worte in ihr nach, während sie durch weitere Wölbtunnel marschierte. Kälte war plötzlich in ihr. Ich gehöre nicht hierher, dachte sie melancholisch. Sie lehnen mich ab. Alle. Oder fast alle. Sie streichelte Freund und beeilte sich, die Behandlungsbereiche des Heims zu verlassen. Ernter und Sammler kamen ihnen entgegen, die Sammelbeutel gefüllt mit Proteinschimmel. Dunst aus den Zubereitungszonen wehte ihr entgegen. Die Zubereiter waren damit beschäftigt, die Proteine zu verarbeiten. Vielleicht zerlegten sie auch das Wild, das ihnen von den Außenweltlern geliefert worden war, im Austausch gegen gekalbte Heimtöchter, die das Leben im Draußen erleichterten. Schließlich erreichte Mayda die Kalbungsbereiche selbst. Es waren große Wölbhallen, und die Domestizierer lösten mit ihren Bittstimmen große, hautlappenähnliche Gebilde von den Heimwänden. Es war eine schwierige Prozedur, und viel Erfahrung war dazu erforderlich, aus diesen Rohkalbungen einsatzfähige Heimtöchter werden zu lassen. Mayda sah kurz zu. Sie erkannte mehrere Laufschnecken, Freunde, die das Aufwachsen anderer Innenweltjungen als Intim- und Ziehpartner begleiten mochten. Sie sah die Rudimentärkörper von Rochenfanghelfern und anderen Zweckgeschöpfen. Einige Ganzjunge spielten mit zwei gerade körperfertigen Laufschnecken. Zwei Innenwelterwachsene, die sie begleiteten,
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