Metropolis brennt
Ablehnung. Sie blickte zu Boden. „Auch ich habe Angst.“
„Das glaube ich dir.“ Er blickte die beiden Kontakter an. „Was geschieht, wenn ich sie nicht mitnehme?“
„Dann muß sie rückgeführt werden. Sie kam aus dem Heim und wird wieder ein Teil des Heims.“
„Sie ist jung.“
„Wir können sie nicht bei uns dulden. Wenn die Außenwelt sie nicht aufnimmt, muß sie rückgeführt werden.“
Mayda wußte, was das bedeutete: Tod; Metamorphose des organischen Materials; Wiederverwertung im Heim. Sie hatte keine Angst davor – niemand hatte Angst davor, denn schließlich kam alles aus dem Heim und mußte irgendwann dorthin zurückkehren –, aber sie war jung und hatte noch Zeit, viel zu sehen und viel zu erleben. Und außerdem … da war noch etwas anderes, das sie nicht verstand, das ihr aber zuflüsterte: Für eine Rückführung ist es noch viel zu früh. Jetzt nicht. Jetzt nicht!
„Das Leben ist hart“, sagte der Außenweltler. „Und es fordert Opfer von uns. Wir sind dankbar für jeden, der zu uns kommt. Wir nehmen dich auf, Mayda.“ Er ergriff ihre Hand. Schüchtern schritt sie zu ihm hinüber. Die beiden Kontakter nickten zufrieden.
„Es kommen bessere Zeiten“, sagten sie zum Abschied.
„Es kommen bessere Zeiten“, entgegnete Tscherlan, wandte sich um und schritt davon. Mayda blickte den beiden Kontaktern nach, die in Richtung Innenwelt davonschritten. Dies war ein Bruch in ihrem Leben. Sie mußte Abschied nehmen von der Innenwelt. Sie würde sie nie wiedersehen.
„Du brauchst keine Angst zu haben“, sagte Tscherlan sanft. Er lachte, während sie durch den Wölbtunnel dem Licht des Draußen entgegenschritten. „Du bist wirklich anders als alle anderen Innenweltler, die ich jemals zu Gesicht bekommen habe. Und ich kenne die Innenweltler. Sie sind ein bißchen borniert, ein bißchen dickschädlig, ein bißchen stur. Sie fürchten sich vor dem Neuen. Ihr Leben“, er vollführte eine weit ausladende Geste, „ist ein bißchen zu gut.“ Wieder das Lachen. Mayda faßte allmählich Zutrauen zu Tscherlan. Er war noch immer skeptisch. Aber er lehnte nicht ab. „Wir von Außenwelt … nun, du wirst es selbst sehen.“ Es wurde immer heller. Gleichzeitig damit intensivierte sich der scharfe, beißende Geruch. Das Kratzen in Maydas Kehle verstärkte sich.
„Der Husten “, sagte Tscherlan nachdenklich. „Ich hoffe, du bist für das Leben in Außenwelt geeignet. Wenn nicht …“ Er deutete auf den Endpunkt des Wölbtunnels, nur einige Meter vor ihnen. „Wenn ich die Dichtung des Heims löse, wirst du Außenluft atmen. Weißt du, die Draußenluft ist anders als das, was du bisher geatmet hast. Du wirst einen kurzen Schmerz spüren. Und dann …“ Er blickte sie an. Sie war ein wenig blaß. „Na, am besten, wir probieren es einfach aus. Du hast ja keine große Wahl, nicht wahr?“
Sie schüttelte stumm den Kopf. Tscherlan trat an die Faserdichtung, berührte eine Nervenknospe … und das hautlappenähnliche Gebilde faltete sich zusammen.
May da hielt den Atem an. Kälte wehte ihr entgegen. Mit tausend Nadeln stach sie in ihre Haut. Sie war wie eine Stimme aus Eis, die ihr sagte: Bis hierher und nicht einen Schritt weiter.
Tscherlan trat hinaus in die Außenwelt, stemmte beide Hände in die Hüften und sagte: „Atme, Innenweltlerin. Du mußt atmen.“
Maydas Lungen dehnten sich aus. Feuer schien in ihrem Innern zu explodieren. Sie stöhnte auf und sank auf die Knie. Die Kälte war verschwunden und hatte heißer Glut Platz gemacht, die sich träge durch ihre Adern und Nerven ergoß. Ihre Lungen zogen sich wieder zusammen, dehnten sich erneut aus.
Und plötzlich war der Schmerz fort. Nur die Kälte blieb. Aber auch sie schien nicht mehr so intensiv zu sein wie zuvor. Tscherlan zog sie wieder auf die Beine.
Weitere Kostenlose Bücher