Metropolis brennt
voller Respekt, „wenn Sie allein sein wollen, werde ich mir einen anderen Unterschlupf suchen.“
„Sie können bleiben und mir Gesellschaft leisten. Sind Sie einer von mir?“
„Ja, Sir. Mays Mann Reuben, Atomist vom dreiundachtzigsten Stock.“
May betrachtete ihn, und Reuben sah, daß schlaffes Fleisch von den Wangenknochen des Mannes herabhing – totes, grobporiges Gewebe.
„Du bist ein gutaussehender Bursche, Reuben. Hast du Frauen?“
„Ja, Sir“, versicherte Reuben hastig. „Eine nach der ande ren. Ich habe immer Frauen. Derzeit bemühe ich mich um ein bezauberndes Geschöpf namens Selene. Wohlgeformt, weich und doch straff, rotes Haar und lange, weiße Beine …“
„Keine Einzelheiten“, murmelte der General. „Die sind nicht so wichtig. Atomist hast du gesagt? Gewiß ein zukunftsträchtiger Beruf.
Ich selbst war vor langer Zeit Kontrolleur. Doch das Rufen scheint aus der Mode gekommen zu sein …“
Der Alarm endete abrupt. Die Stille war kaum zu ertragen.
May schluckte und fuhr fort: „… aus welchen Gründen auch immer. Warum wählen die Jungen keinen Kontrolleur mehr? Warum hast du dich denn nicht aufstellen lassen?“
Reuben wünschte, er hätte dem Gespräch durch einen direkten Treffer entkommen können. Das Fernglas, Selene, der Überfall … und nun sollte er auch noch intelligente Konversation mit einem General machen.
„Ich weiß es nicht, Sir“, sagte er hundeelend. „Derzeit scheinen die Unterschiede recht gering zu sein – Kontrolleur, Atomist, Richtschütze, Wartungsmann. Wir haben ein Sprichwort, ‚Alle Knöpfe sind verschieden’, mit dem üblicherweise alle Diskussionen über dieses Thema enden.“
„Wirklich?“ fragte May mißbilligend. Sein Gesicht war von einem dünnen Schweißfilm überzogen. „Glaubst du, Ellay wird uns dieses Mal ernstlich zusetzen? Schließlich ist es schon lange her, daß sie einen größeren Angriff geführt haben.“
„Vier Wochen“, sagte Reuben. „Ich erinnere mich daran, weil einer meiner besten Diener von einer berstenden Korridordecke getötet wurde – nur ein ernster Zwischenfall, und der mußte ausgerechnet meiner Mannschaft zustoßen!“
Er lachte nervös und erkannte, daß er wie ein Narr daherredete, doch May schien das nicht zu merken.
Unter ihnen waren eine Reihe greller Pfeiftöne zu vernehmen, als die Verteidigungsjäger ihre doppelte Verteidigungsstellung um Denv bezogen.
„Nur weiter, Reuben“, forderte May ihn auf. „Das war sehr interessant.“ Seine Augen suchten die Unterseite des Stahltisches ab.
Reuben vermied den Blick in das vor Entsetzen verzerrte Gesicht, und ein Teil seiner Ehrfurcht schwand. Mit einem General unter einem Tisch! Plötzlich schien das gar nicht mehr so seltsam.
„Vielleicht, Sir, können Sie mir ein verblüffendes Ereignis erklären, das mir heute nachmittag passierte. Ein Freund, Rudolphs Mann Almon vom neunundachtzigsten Stock, gab mir ein Fernglas, das in meinen Augen aufblitzte und dann matt wurde. Gibt es in Ihrer großen Erfahrung …“
May lachte heiser und sagte mit zitternder Stimme: „Ein alter Trick!
Er fotografierte deine Netzhäute wegen des Musters der Blutgefäße. Einer von Rudolphs Männern, ja? Ich bin froh, daß du mit mir darüber gesprochen hast. Ich bin alt genug, um so etwas zu deuten. Vielleicht hat der gute Rudolph vor …“
Sie verspürten ein Beben in der Luft, gefolgt von einem leisen Aufprall. Ein Geschoß hatte den Sperrgürtel durchbrochen und war, dem Geräusch nach zu urteilen, tief unten am Fuß von Denv explodiert.
Wieder ertönten die Alarmsirenen, dieses Mal in kurzen Intervallen, die besagten: Alles klar, nur eine Angriffswelle, und die konnte abgewehrt
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