Metropolis brennt
„Sie können jetzt gehen. Ich habe Mr. Vastenate erwartet, Sie können ihn mir überlassen.“
Das angeblich kunstbeflissene Mädchen verschwand eilig. Nirene reichte Gordell, der noch immer auf dem Boden saß, die Hände und zog ihn auf die Füße.
Für einige Augenblicke stand er benommen und leicht schwankend. Erst nach mehreren tiefen und ruhigen Atemzügen hörte seine Lunge auf zu schmerzen, die Gegenstände der Umwelt nahmen wieder ihre festen Formen an, und sein Blick wurde klar.
Nirene wartete geduldig, bis er sich besser fühlte. Sie sah ihn mitleidig an und fragte: „Haben Sie eine Ahnung, wer das war?“
„Sie nannte sich Lydia, nichts weiter. Ich habe sie nie zuvor gesehen – ein Überfall, vermute ich.“
„Schweigen Sie“, erwiderte Nirene barsch. „Sie wird sagen, daß der Angriff von Ihnen ausgegangen ist – Sie können nicht das Gegenteil beweisen. Also erzählen Sie niemandem davon, und versuchen Sie, die Angelegenheit zu vergessen.“
„Aber ich kann mir nicht denken … Jedenfalls fange ich an, Ihre besondere Begabung zu bewundern, die darin besteht, unbequeme Leute einfach zu entlassen.“
„Ich werde Ihnen etwas zeigen, das Ihnen helfen wird zu verstehen“, sagte das Mädchen ernst. „Kommen Sie mit in mein Kontor.“
Gordell schwieg – er kämpfte gegen die Übelkeit an, die wellenförmig von seinem Magen ausging – und folgte ihr.
Die Empore führte offenbar durch den ganzen Innenteil des Hauses; sie kamen durch mehrere Räume, ehe er das Zimmer mit den Maskierten wiedererkannte. Die Ibisse, Kobolde, Clowns und Dämonen blickten zu ihnen hoch; einige lächelten verständnisvoll.
Im nachfolgenden Zimmer gab es zwischen den großformatigen Bildern einige Türen. Nirene öffnete eine von ihnen und ließ Gordell den Vortritt.
Verglichen mit den übrigen des Hollisterschen Hauses war der Raum ziemlich klein, aber geschmackvoll eingerichtet.
Die Wände mit den integrierten Bücherregalen waren in rötlichem Holz gehalten. Ein Miro in Rot, Gelb, Blau, Grün und Schwarz hing an der Wand gegenüber dem Eingang.
Ungefähr in der Mitte stand ein massiv, aber keineswegs plump wirkender Schreibtisch aus schwarzem Plastik mit zwei dazu passenden Sesseln – niedrig und bequem – davor und dahinter.
„Mein Büro“, sagte Nirene, als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, „auf das ich Anspruch habe, weil ich Sassan bei der Abwicklung des Schriftverkehrs helfe. Deshalb bin ich auch im Besitz des Dokuments, das ich Ihnen zeigen möchte. Nehmen Sie Platz.“
Sie setzte sich hinter den Schreibtisch, und Gordell ließ sich vorsichtig – sein Unterleib wurde noch zuweilen von krampfartigen Schmerzen heimgesucht – auf den anderen Sessel nieder.
„Ich sagte Ihnen schon, daß ich Unaufrichtigkeit verabscheue“, fuhr Nirene fort, „und Sie müssen mir glauben, daß diese meine Eigenschaft der einzige Anlaß für meinen Wunsch ist, mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Kürzlich mußte ich entdecken, daß mein Chef in eine Intrige verwickelt ist …“
„… die sich gegen wen richtet?“
„Gegen den weitaus größten Teil der Menschheit. Sie haben ihn mit der treuhänderischen Verwahrung und gegebenenfalls Verwendung einer Funksendung beauftragt. Dabei hat er Ihnen absichtlich verschwiegen, daß er auf der Gegenseite steht. Außerdem hat er den Homöostatischen Service auf Ursprung und mutmaßliche Absicht dieser Sendung aufmerksam gemacht und die Vernichtung des Senders empfohlen.“
„Aber weshalb wollen Sie ausgerechnet mir helfen?“
„Ich lese regelmäßig Ihre Kolumne im Oszillator und bin von der Lauterkeit Ihrer Ansichten und Absichten überzeugt. Wie ist Ihre Position in der Zeitung?“
„Durchschnittlich, nehme ich an …“
„Das ist wohl auch nicht so wichtig. Sie müssen selbstverständlich nicht mit mir zusammenarbeiten. Sagen Sie ein Wort – und wir verabschieden uns als Freunde.“
„Ich habe den Eindruck gewonnen, daß Sie selbst schon zu viel gewagt haben, um weiterhin ungeschoren in diesem Haus leben zu können. Aber auch unabhängig von dieser Überlegung würde ich gerne hören, was Sie vorhaben.“
Sie betrachtete ihn aufmerksam. Sie hatte die Ellbogen auf die Schreibtischplatte gestützt und das Kinn auf die verschränkten Hände gelegt. Ihr Blick wanderte über sein Gesicht und tiefer über den geliehenen Anzug.
Dann strich sie flüchtig mit der Hand über ihre Haare und erwiderte: „Ich könnte verstehen, wenn Sie einstweilen von
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