Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Metropolis brennt

Metropolis brennt

Titel: Metropolis brennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Alpers
Vom Netzwerk:
haltgemacht hatte. Der leere, offene Sarg lag ruhig auf den geduldigen Händen von sechs Robotern und schien ihr höhnisch zuzublinzeln. Jetzt löste sich aus der Reihe der Schwarzgekleideten ein besonders dicker, mit pelzgefütterter Robe behangener Mann und schritt würdig den schmalen Weg zu ihrem Haus empor.
    Ihr Herz setzte für einen Schlag aus. Die alte Frau schluckte krampfhaft. Was wollte der Prozessionsführer von ihr? Nein, das war unmöglich. Neben ihr, neben … ja, jetzt erinnerte sie sich. Wenige Meter vor ihrem Eingang gabelte sich der Weg und führte zu ihrem Nachbarn, einem alten, kränklichen Mann, der mit seiner Handvoll Katzen so lange sie denken konnte das Nebenhaus bewohnt hatte. Das mußte es sein. Der Alte, dem schon ihr Mann wegen seiner ungesunden Lebensweise einen baldigen Tod prophezeit hatte, zu der Zeit, als sie noch Freunde gewesen waren – der Alte mußte gestorben sein. Diese Erkenntnis durchströmte sie wie eine befreiende Woge.
    Sie bückte sich und suchte ihr Strickzeug wieder zusammen, das ihr im ersten Schreck zu Boden gefallen war. In dem flauschigen Teppich hatten sich die langen Nadeln gut versteckt.
    Es klingelte.
    Sie erstarrte in ihrer gebückten Haltung.
    Es klingelte wieder.
    Jetzt raste ihr Pulsschlag. Nein, das war kein Irrtum mehr. Sie wollten zu ihr. Sie wollten zu ihr! Sie erhob sich ängstlich und spähte aus dem Fenster. Erneutes Klingeln. In der Prozession begann sich Unruhe auszubreiten. Selbst die Roboter, die den Sarg trugen, schaukelten leicht. Zu den Todgeweihten kamen erst die Roboter, dachte sie. Und: Lieber Gott, bitte hilf mir. Laß es nicht … Hatte man nicht gemunkelt, daß mancher Tod von der Stadt im Interesse aller anderen Bürger geplant werde? Sie ballte ihre Hände zu Fäusten und grub ihre Zähne hinein. Klingeln. Sie würde nicht aufmachen. Niemals! Wenn er nur endlich …
    Der Prozessionsführer war unten ein paar Schritte zurückgetreten und blickte jetzt direkt in ihr Fenster. Schnell versteckte sie sich hinter dem schweren Vorhang aus rotem Samt. Aber er hatte sie schon gesehen. Sie sah es an dem triumphalen Blitzen in seinen Augen, der siegesbewußten Bewegung, mit der er den Kopf herumwarf und sein Gewicht verlagerte, um ihre Tür einzurennen. Ihre Arme zitterten und ließen das Strickzeug erneut fallen. Würden Sie sie bei lebendigem Leibe begraben? Oder würde er sie …
    Eine Frau mit schwarzem Schleier brach aus der Prozession aus. Sie zog ihren Schleier zurück und rannte mit bleichem Gesicht zu dem Prozessionsführer. Die alte Frau am Fenster sah, daß sie aufgeregt auf ihn einredete, dabei die Straße hinunter deutete. Schließlich zuckte der Prozessionsführer mit den Schultern und ging neben ihr den schmalen Weg zur Straße wieder hinunter. Kurz bevor er die Prozession erreichte, drehte er sich noch einmal um und warf der alten Frau einen nachdenklichen Blick zu.
    Die Prozession setzte sich wieder in Bewegung.
    Sie verschwand hinter dem Fensterrahmen. Durch die leere Straße wehte eine zerrissene Plastiktüte. Ein rotweißer Ball hüpfte aus einer Toreinfahrt. Mit einem Ruck erwachte die alte Frau aus ihrer Erstarrung. Ihre Blicke fielen auf die weißen Eindrücke, die ihre Zähne im Fleisch ihrer Hände hinterlassen hatten. Sie stand auf, stolperte, rannte aus dem Zimmer. Sie eilte durch das Haus und schloß sämtliche Vorhänge. Nach wenigen Minuten war sie wieder im Wohnzimmer angelangt und zog auch dort die schweren Samtvorhänge zu. Sie schaltete den Bildschirm aus.
    Stille und Dunkelheit senkten sich über das Haus.
    Sie ließ sich in ihrem Sessel nieder, faltete die Hände auf dem Schoß. Vor ihren Augen flackerte die Dunkelheit. Ihr Mund war trocken und rauh. Langsam beruhigte sich ihr Herzschlag.
    Ihr großer Schrank mit gestrickten Erinnerungen, dachte sie. Was hätte man mit ihrem Schrank gemacht, wenn man sie geholt hätte? Hatten Roboter ein Interesse an Wollhandschuhen? Irgendwie war es seltsam, überlegte sie, daß die Maschinenwesen immer kamen, bevor sie einen holten.
    Sie schüttelte sich. Bleib ruhig, sagte sie sich. Alles ist vorbei, und nichts ist passiert. Ein Irrtum. Und bald würde ihr junger Freund kommen. Sie konnte schon seine Schritte spüren.
    Es klingelte.
    Sie erkannte die Stimme, die sie bat, aufzumachen. Mit einem ruhigen Lächeln stolperte sie durch das dunkle Zimmer, griff nach dem Geschenk und verlagerte es in die linke Hand, als sie die Tür öffnete. Sie fühlte etwas in sich, fast wie

Weitere Kostenlose Bücher