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Metropolis brennt

Metropolis brennt

Titel: Metropolis brennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Alpers
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gekündigt hatte, hatte sie sich den Streetworkern angeschlossen, die vor allem in den Slums der Stadt das größte Elend mildern halfen. Sie kümmerten sich um die Obdachlosen, die Kranken, die Nutten, Säufer, sogar um die kleinen Verbrecher, um Kranke und Sterbende … Es war ein aussichtsloser Kampf. Aber die Streetworker gaben ihn nicht auf. Und Mirja gehörte zu ihnen, kämpfte mit Leib und Seele mit ihnen, war seither geächtet, stand auf der schwarzen Liste der unangenehm aufgefallenen Personen der Stadt. Die Streeters paßten nicht mehr in das Gesamtbild der Stadt, alles war anders geworden, seit der Gesetzesentwurf zur Alleinverantwortlichkeit der Freaks mit großer Mehrheit angenommen worden war. Genaugenommen war dies der Beginn der Legalisierung einer neuen Endlösung. Die Slums und damit das Ausgestoßensein aus der Gesellschaft, den Makel der Aussätzigen, den Freaks, die Stadt den Normalen. Vharn beneidete sie nicht darum. Nicht sehr.
    Mirja sagte nichts, das kurze Aufflackern ihrer Gefühle legte sich, erstarb zu einem beständigen Glimmen der Sympathie, nicht des Mitleids.
    So war es auch damals gewesen, als sie sich das erste Mal begegnet waren.
    Zwei Wochen liegt das erst zurück, dachte er, halb verwundert. Zwei Wochen. Sie hatten sich nicht oft gesehen. Dreimal. Sie nahm ihre Arbeit sehr ernst, und nachdem sie ihm den Prograv seines Körperstabilisierungs-Anzugs repariert hatte, war er nicht mehr hilfsbedürftig. Mehr noch: Er wollte keine Hilfe. Er konnte sich selbst helfen. Er mußte sich selbst helfen, weil …
    Nein, nicht wieder diese Gedanken. Nicht jetzt.
    Schweigend gingen sie nebeneinander her. Er ließ seine Blicke schweifen, nahm die Umgebung in jeder Einzelheit war, versuchte, die Retuschierung durch die Pillen wegzudenken, und zeitweise gelang ihm dies sogar.
    Winter in der Stadt. Winter auch im Wald. Sie hatten ihn früh hereinbrechen lassen in diesem Jahr, im Mai, im Monat der Liebenden, wie es so schön hieß. Vielleicht ein Gag. Die Werbemanager hatten jedenfalls umgehend auf die weiße Pracht reagiert; sie hatten den Gag vorhergesehen, wie immer, und waren vorbereitet gewesen – es war normal. Gleichzeitig hatten die Hersteller reagiert und die Kaufhäuser der Stadt mit einer Flut von Weihnachtsprodukten überschwemmt.
    Scheinbar allgewaltig hatte das Bastard-Weiß seine samtigen Schwingen über das Land ausgebreitet: Der Wald trug sein neues Kleid, präsentierte sich romantisch, im modernen Schick der verzaubernden Weiß-Schattierungen. Vharn zwang sich, nicht an die Stadt zu denken, nicht an die Betonkästenhäuser, nicht an die wenigen Bäume, die in großen Betonvasen einige bevorzugte Straßen säumten …
    Er sah den Wald, wollte nichts als den Wald sehen. Die hohen, schmutzigbraunen Baumstämme waren überzuckert, glitzernd feine, bizarre Kristalle, Schneekrumen, zogen sich wie Parasiten die borkige Rinde empor, an der Wetterseite mehr, an den anderen Seiten weniger, hier und dort überhaupt nicht. Nackte Rinde, bloße Rinde, kränklich verfärbte Rinde. Schwer neigten sich die Äste, verklumpt waren Tannennadeln, versteckt ihr giftgelbes, trauriges Normal- und Sterbekleid, vergessen der beizende Säureregenniederschlag vor dem Einbruch des Winters.
    Weiß, weiß, weiß …
    Zauberweiß.
    Ein Baldachin aus Zauberweiß, flüsterten ihm seine durch die beiden Pillen vergifteten Sinne zu, Zauberweiß rings um sie her und über ihnen: bizarre Formen, verkrüppelte Hände, die zueinander hintasteten, sich jedoch niemals – niemals – erreichen würden. Arme, Beine, Gesichter, Haare, Nerven, die sich verästelten. Klumpiges Weiß, frostige Kälte, eine Mischung aus verschneitem Wunderwerk und bloßliegenden, faulen Körperstellen. Wie die Freaks.
    Der Boden tief verschneit. Der Boden nackt und erbärmlich.
    Unregelmäßig gewellt die Decke hier, verschorft wie ein eiternder Ausschlag dort. Der kleine Wassertümpel in einer kleinen Mulde im Wald zugefroren, Spinnenmuster auf dem Eis, dort, wo es blank lag, wo der Schnee von den eisigen, jähen Böen der Winterwinde hochgewirbelt, durchgepeitscht, davongefegt worden war.
    Kälte, Kälte.
    Vor dem Mund wattiges, gespenstisches Weiß. Atemfahnen. Die Kälte biß in die Haut, sickerte in sie ein, wie die Gefühle des Mädchens in seinen Schädel einsickerten, zirkulierte in seinem Körper.
    Grashalme durchstachen die Schneedecke. Schräg durch den Äste/Zweige/Schnee-Baldachin einfallende Sonnenstrahlen zauberten neue

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