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Metropolis brennt

Metropolis brennt

Titel: Metropolis brennt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Alpers
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Mein Gott, dachte er, was redest du da? Mutter, mein Gott, Mutter. Hatte er eine?
    Hansen dachte angestrengt nach, fühlte sich leer und ausgebrannt. Spürte Übelkeit. Kotzte einen Schwall grüner Galle in den Dreck. Saß verloren auf dem Stein, fror und zitterte. Empfand das Trümmerfeld um sich herum plötzlich als das Trümmerfeld seiner Seele.
    Hatte er eine Mutter, hatte er überhaupt jemanden?
    Er war Herbert Hansen. Geboren in Dortmund am 4. 4. 1963.
    Er hatte eine Mutter gehabt, aber die war früh gestorben. Er war im Waisenhaus aufgewachsen. Er lebte nicht in einer Ehe, einer eheähnlichen Gemeinschaft oder einer vergleichbaren Beziehung zu einer Person.
    Er war allein, er hatte niemanden. Er war allein in dieser großen Stadt. „Blut“, dachte er, „in den Städten ist nur Blut.“ Aber doch, er hatte …
    Mit zitternden Fingern fühlte Hansen nach dem Stück Papier in seiner Tasche, zog es hervor, entfaltete es wie ein Heiligtum. Knipste sein Feuerzeug an, las mit bebenden Lippen:
     
    INHALTSVERZEICHNIS
     
    1 Sparbuch. Kontostand: DM 7583,10
    1 Zulassungsbescheid zum Studium an der Bismarck-Universität
    je 1 Rasierapparat, Zahnbürste, Zahnpasta, Handtuch
    1 Tafel Schokolade
    1 Portemonnaie. Inhalt: DM 152,19
    sowie eine Fahrkarte zweiter Klasse zum Studienort
    je 1 Personalausweis, Reisepaß, Führerschein, Identitätskontrollkarte auf den Namen: Hansen, Herbert.
     
    Geld und ein Zulassungsbescheid! Er hatte etwas, er hatte eine Zukunft, eine Zukunft! Vielleicht hatte er keine gute Vergangenheit gehabt, aber er hatte eine Zukunft, immerhin, eine Zukunft!
    „Die Handgelenktasche!“ durchzuckte es Hansen.
    Die Handgelenktasche baumelte an seiner Hand, war einfach da. Instinktiv und unbewußt mußte er sie umklammert gehalten haben, die ganze wirre Zeit hinüber, als Garant seiner Zukunft. Er öffnete sie eilig.
    Es war alles da, wie es das Inventarverzeichnis versprach.
    Ein heißes Gefühl von Dankbarkeit durchflutete Hansen. Er fühlte sich ruhiger, gewann verlorene Kraft zurück.
    „Ich habe eine Zukunft!“ sagte er laut und entschlossen, als wollte er sich selbst Mut machen in der Dunkelheit, die ihn umgab.
    Er erhob sich, wanderte weiter, über die Trümmer, zur Straße, zu den Menschen mit ihren Lichtpunkten, zum Bahnhof, zum Zug, ins Abteil.
    Dort schlief er erschöpft ein, träumte einen bewegten Traum von seiner Zukunft. Von seiner Zukunft in der anderen Stadt.
    Nachrichten wurden übertragen ins Abteil. Sie berichteten von einem Aufruhr in der Stadt und von einer Selbstmörderin, die als die Theologiestudentin Monique Turenne identifiziert worden war.
    Aber Hansen schlief. Er träumte von seiner Zukunft.
    Ihm gegenüber, auf der nackten Wand des Eisenbahnabteils, hatte ein Unbekannter geschrieben:
     
    GROSSTADT
    WO SIND DEINE BLUMEN?
    AUF DEN GRÄBERN.

 
Martin Eisele
Und früh kommt der Winter
     
    Eine gemeine Angst steckte in jeder Faser seines Körpers und lauerte unter der trügerischen Oberfläche aus vagem Selbstbewußtsein, das ihm die beiden rosaroten Pillen verschafften. Seit achtzehn Minuten war er ein Verbrecher an der Gesellschaft, denn er hatte sich skrupellos genommen, was sich die Arbeitenden, die Normalen mühsam verdienen mußten. Er hatte den Energieschirm ausgetrickst und war ohne Berechtigungsschein in den zentralen Stadtwald eingedrungen …
     
    Die Ruhe vor dem Sturm
     
    Winterwald im Mai, Zauberwald, Märchenwald …
    Er sah das glitzernde, irisierende Weiß, das kein richtiges, kein reines Weiß mehr war, sondern ein schmutziges Bastard-Weiß mit Rot-, Orange- und Gelbhauch und Violettupfern, dazwischen die Grauschleier und Schatten von Bäumen und von Bodenstellen, auf denen kein Schnee lag, und er spürte, wie sich die Wirkung der beiden Pillen mit der Kraft eines sich schließenden Schraubstocks stabilisierte. Er sah alles verzerrt, sah grelle Kitschbilder von einer Kitschlandschaft, die keine Kitschlandschaft war. Irgend etwas rebellierte dagegen, protestierte, schrie ihn verzweifelt an, daß an seiner Umgebung nichts Kitschiges sei, daß die beiden Pillen daran schuldig waren, daß er sie deshalb nicht mehr richtig erfassen, nicht mehr richtig genießen konnte. Alles umsonst. Wochenlange Vorbereitungen auf diesen einen Tag, auf den Tag im Stadtwald, allein mit Mirja. Alles umsonst. Die Stimme wehte davon, er wurde abgelenkt vom Geräusch, das Mirjas und seine Schritte machten.
    Er konzentrierte sich auf die Nähe des Mädchens, das an seiner Seite

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