Mettwurst ist kein Smoothie
gerne Bahn fahre, habe ich natürlich auch eine Bahncard. Die gilt für die zweite Klasse. Als ich kürzlich mal wieder von Köln nach Berlin musste, dachte ich mir aber: «Ach, komm, heute gönnste dir was: Fahr mal erster Klasse.»
Das waren dann 180 statt 60 Euro, und jetzt kommt’s: Liebe Bahn, ich glaube, ich habe es voll end-verkackt. Ich fürchte, ich habe das Prinzip eurer «ersten Klasse» einfach nicht verstanden. Mein Fehler, total, aber die einzigen Unterschiede zur zweiten Klasse, die mir auffielen, waren eine kostenlose BILD -Zeitung, zehn Zentimeter mehr Beinfreiheit und Kaffee in der Porzellantasse statt im Pappbecher. (Und die Erste-Klasse-Kunden um mich herum, aber ganz ehrlich: Die waren kein geldwerter Vorteil. Wenn der zehnte Anzug-Dödel in sein BlackBerry irgendwelchen Unsinn schreit wie: «Frau Schmitz, erinnern Sie mich nachher daran, dass wir noch den Schokotraum und die Erdbeerwaffeln einpreisen?», dann wünscht man sich ganz schnell ein bisschen Zweite-Klasse-Kunden.)
Das kann doch bestimmt nicht alles gewesen sein, oder? Da kommt man ja selbst bei sehr großzügiger Berechnung der Beinfreiheit, und auch wenn ich die Porzellantasse und die BILD anschließend mitgenommen hätte, nicht auf 120 Euro Preisunterschied.
Also los, sagt’s mir ruhig: Was habe ich falsch gemacht? Habe ich etwas übersehen? Gab es im Nachbarwaggon ein privates U 2 -Konzert für Erste-Klasse-Kunden? Goldstaub im Filterkaffee? Lomi-Lomi-Massagen im Schaffnerabteil? Oder sind wir schneller gefahren als die zweite Klasse, und ich Dummie habe nur nicht gemerkt, dass wir die unterwegs abgehängt haben? Oder, ach, jetzt habe ich es: Vermutlich hätte ich auf die Frage des Zugbegleiters, ob ich noch etwas aus dem Bordrestaurant will, einfach mal sagen sollen: «Japp, die Kaffeemaschine, die Mikrowelle und die Zapfanlage. Liefern Sie’s mir bitte nach Hause.» Stimmt’s?
Sagen Sie es mir ruhig, Rüdiger Grube voll der Gnade, und schonen Sie mich nicht. Aber bitte haben Sie Verständnis, wenn ich bis dahin doch lieber wieder zweiter Klasse fahre.
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Die wahrscheinlich langweiligste Familie der Welt
«Sorry, das war mein Pflegevater aus seiner Entziehungsklinik», sagte Matze und steckte sein Handy wieder weg. «Er macht sich Sorgen, weil meine Mama grade von ihrem indischen Guru zurück ist und jetzt Engelstrompeten rauchen will.»
Wir waren auf einer Party, und Matze, ein Autorenkollege, hatte gerade fünf Minuten aufgeregt in sein iPhone gesprochen. Ich stand daneben, knibbelte an meiner Bierflasche herum und schaute in eine andere Richtung. Doch es hatte keinen Zweck. Matze stellte die Frage, vor der ich mich schon gefürchtet hatte:
«Ts, Familie … Ist deine auch so durchgeknallt?»
Die traurige Wahrheit lautet: Nein, ist sie nicht. Absolut nicht. Meine Familie ist so durchgeknallt wie eine Doppelfolge «Neues aus Büttenwarder». Unsere Geschichte lässt sich in 30 Sekunden erzählen: Eltern im Job kennengelernt, Haus gebaut, Kinder gezeugt, großgezogen, Kinder ausm Haus, alle kommen zurecht, Eltern immer noch zusammen und glücklich. Ende. Der Traum aller Familienpolitiker, kein Zweifel, aber eine HBO -Serie könnte man nicht unbedingt daraus stricken.
Selbst wenn man das Feld auf Onkels und Tanten erweitert, wird es nicht aufregender. Wir haben nicht mal eine ordentliche Scheidung in der Familie. Von Fremdgehern und unehelichen Kindern ganz zu schweigen. Und Geschichten von Entziehungskuren und Engelstrompeten – da träume ich von! Der größte Aufreger, der mir gerade einfällt, ist mein Onkel Herbert, der für seine Frau evangelisch geworden ist. Hui! Evangelisch!
That’s as crazy as it gets.
Das ist natürlich auch nichts Schlimmes. Für uns als Kinder war diese Unaufgeregtheit sicher auch von Vorteil. Aber ich merke immer öfter, dass mir dadurch heute ein sehr wichtiges Gesprächsthema einfach fehlt. Beim großen Familien-Katastrophen-Quartett auf Partys habe ich zuverlässig das beschissenste Blatt. Ständig höre ich Sätze wie: «Mein Vater – also mein
leiblicher
Vater …» Oder: «Mein Bruder hat auf seinem letzten Hafturlaub …» Oder mein bisheriger Lieblings-Gesprächsanfang: «Also, meine beiden Mamas …»
Und wehe, ich versuche doch mal mitzuhalten! Erst kürzlich saß ich mit Bekannten in einem Restaurant, und nachdem einer von ihnen eine Räuberpistole nach der anderen aus seiner eigenen Familie erzählt hatte (Drogen!
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