Meuterei auf der Deutschland
sollte. Falkvinge, übersetzt Falkenflügel, gefiel ihm, da er selbst ebenfalls die Vogelperspektive einnehme und ihm der Freiheitsdrang dieser Tiere imponiere.
In einem Interview bezeichnete er sich als Ultrakapitalist, der zugleich für eine Art digitalen Web-Kommunismus sei, an dem nach Möglichkeit und Bedarf jeder teilnehmen können soll. Er polemisierte gegen die Einteilung der politischen Landschaft in links und rechts , vielmehr ginge es einzig um die Rechte der Staatsbürger: Die persönliche Integrität sei ihm »wichtiger als Gesundheits- und Schulpolitik, Pflege, Kernkraft und Verteidigungspolitik und die andere Scheiße, über die schon 40 Jahre geredet wurde« (Lönegård 2009). Für den Blogger und Historiker Rasmus Fleischer, einen der Gründer der Plattform The Pirate Bay, ist Falkvinge ein Unikat, der sich und die Piraten auf derselben Ebene wie die Arbeiter-, Umwelt- oder Schwulenbewegung ansiedele (ebd. 2009). Generell wird man den Eindruck nicht los, dass Falkvinge einen moralischen Kreuzzug gegen das Establishment führt, dem er unterstellt, es enge die Freiheit ein, die durch die Digitalisierung eigentlich wachse.
Nachdem im Februar 2009 der Prozess gegen die Betreiber von The Pirate Bay eröffnet worden war und der schwedische Reichstag die EU-Richtlinie zur Vereinfachung der Verfolgung von Urheberrechtsverstößen in schwedisches Recht umzusetzen begann, erreichte die Piratenpartei eine erhöhte öffentliche Aufmerksamkeit (Gürbüz 2011, S. 24 f.). Im Zuge dessen stieg ihre Mitgliederzahl sprunghaft an und erreichte auf dem Höhepunkt der Piratenwelle im August 2009 etwa 50 000; seither hat die Partei allerdings kontinuierlich an Mitgliedern verloren, mit etwa 8 000 liegt die Mitgliederzahl heute ungefähr auf dem Niveau der schwedischen Linkspartei (Holmgren 2009). Insgesamt scheint die Mitgliedschaft in der Piratenpartei evident auf politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen im Medienbereich zu beruhen.
Betrachtet man die Altersstruktur der Mitglieder, fällt auf, dass die Gruppe der 18- bis 29-Jährigen eindeutig dominiert und das jugendliche Bild der Partei prägt. Die Piratenpartei ist damit eindeutig die jüngste Partei Schwedens und hat in der entsprechenden Kohorte weitaus mehr Mitglieder als ihre Konkurrentinnen. Bei der Geschlechterstruktur sticht ein markanter gender gap ins Auge: In allen Altersgruppen ist nur ein Bruchteil der Mitglieder weiblich. Auch die Piraten-Wähler bei der Europawahl 2009 waren überwiegend männlich und juvenil: Zwölf Prozent der Männer, aber nur vier Prozent der Frauen votierten für die Piraten. In der Gruppe der Wähler unter 21 Jahren erzielten sie 24 Prozent, bei den 22- bis 30-Jährigen waren es immerhin 17. Sie waren damit die stärkste Partei bei Jung- und Erstwählern und ließen Moderate und Sozialdemokraten hinter sich (Oscarsson/Persson 2009). Bei Umfragen gaben 24 Prozent der Piraten-Anhänger an, ihr Vertrauen in schwedische Politiker sei sehr gering. 14 Prozent von ihnen hatten zuvor die rechtskonservativen Schwedendemokraten favorisiert. Gleichwohl verdankten sie diese Ergebnisse auch den besonderen Umständen einer Europawahl, denn nur drei Prozent der Befragten gaben an, sie hätten die Piraten zu diesem Zeitpunkt auch bei Reichstagswahlen gewählt.
Im Links-Mitte-Rechts-Spektrum waren und sind die Wähler der schwedischen Piraten relativ breit gestreut, die Partei zieht Unzufriedene aus allen Lagern an. Sie versteht sich selbst dabei jedoch nicht als klassische Protestpartei (Erlingsson/Persson 2010). Ihre Anhänger geben sich weniger protestaffin, sondern sind an präzisen, konstruktiven Lösungen interessiert. Bezeichnenderweise waren es weniger die jungen Männer mit niedrigem Bildungsgrad aus den altindustriellen Hafenstädten im Süden, die überdurchschnittlich häufig für die Partei stimmten, sondern vor allem junge Absolventen technischer und naturwissenschaftlicher Studiengänge, die in entsprechenden Branchen arbeiten und in arrivierten urbanen Revieren leben.
Die Politikwissenschaftler Marie Demker und Ulf Bjereld haben in Kampen om kunskapen ( Der Kampf um das Wissen ) dargestellt, wie in entwickelten Informationsgesellschaften neue Konfliktlinien entstehen, wenn der freie Zugang zu Wissen, Informationen und Medien immer mehr an Bedeutung gewinnt, dabei allerdings von Monopolisten oder staatlichen Autoritäten blockiert oder nur zu hohen Kosten gewährt wird (Bjereld/Demker 2008). Themen wie Internethandel,
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