0785 - Der Kinderschreck
Der Mann fluchte. Er drehte sich auf die Seite. Zu heftig, beinahe wäre er noch aus dem Bett gefallen.
»Zieh dich ruhig an, denn wir müssen nach draußen!«, keifte von unten die Stimme der Alten.
»Aber ja, mein Täubchen, ich tue alles, was du verlangst. Ich tue es sogar gern.« Seine Gedanken bewegten sich in eine andere Richtung. Er dachte daran, Olinka umzubringen, aber noch war es nicht so weit. Da musste er sich fügen.
Er setzte sich hin. Das Bett stank. Nicht nur das, auch im Zimmer roch es nach Schweiß und anderen Dingen, über die er nicht nachdenken wollte. Manchmal hatte er sogar den Eindruck, in all dem Gestank ersticken zu müssen, dann wiederum gab es Tage, an denen er sich besonders wohl fühlte.
»Und nimm dein Messer mit, Darling!«
»Sicher doch, Liebes!«
Oleg stand auf. Er war nicht groß, er war auch nicht mehr der Jüngste. Er bog seinen Rücken durch, fasste in seine Tasche und holte eine Schachtel Zündhölzer hervor. Er riss ein Zündholz an und brachte die Flamme an den Docht einer Kerze, wo sie sofort Nahrung fand und hochzuckte.
Er hätte sich lieber im Dunkeln ankleiden sollen. So aber schaffte es das eine Licht, einen Großteil der Trostlosigkeit eines Raumes aus dem Dunkel zu holen, der nur mit dem Begriff Drecksbude bezeichnet werden konnte.
Da klebte überall der Schmutz. Auf dem Fußboden ebenso wie an den Wänden, selbstverständlich auch auf den wenigen Möbelstücken, die nicht mal ein Trödler genommen hätte. Bevor Oleg die über einen Haken hängende Hose wegnahm, steckte er die kleine Schachtel wieder in die Tasche. Zuerst griff er zu dem dunkelgrauen Hemd. Es hatte seine ursprüngliche Farbe längst verloren, so schmutzig war es.
Danach streifte er die Hose über und sorgte dafür, dass auch die Hosenträger korrekt über seinen Schultern lagen. Den Abschluss bildete eine lilafarbene Weste ohne Ärmel. Die Schuhe standen neben dem Bett. Geschlafen hatte er in Socken, er brauchte nur in die schmutzigen Treter hineinzuschlüpfen. Zu allerletzt setzte er den Hut auf, bei dem die Krempe fehlte.
Jetzt war er fertig.
Er war schon an der Tür, als ihm einfiel, dass er das Messer vergessen hatte.
Oleg ging zum Schrank und zerrte die Tür dort auf. In der Innenseite hing ein Spiegel. Es war das einzige einigermaßen saubere Stück in dieser Bude, und Oleg hatte zudem das Glück, dass sich in der Fläche das Licht der Kerze widerspiegelte, und er konnte, wenn er sich bückte, sein Gesicht erkennen.
Das tat er auch.
Nein, er selbst erschrak nicht vor sich, andere gingen laufen, wenn sie ihn sahen.
Es war schwer, ihn zu beschreiben. Okay, er war nicht der Schönste mit seinem runden Gesicht, der Knollennase, den breiten Lippen und den glänzenden Augen, die beim ersten Hinschauen aussahen, als würde sich ein Lächeln darin wiederfinden.
Das stimmte nicht. Zwar glänzten die Augen, aber dieser Glanz war einer tiefen Schadenfreude und Menschenverachtung zuzuschreiben. Wer nicht genau hinschaute, ließ sich täuschen, und tatsächlich gab es einige, die sich in Oleg sehr getäuscht hatten.
Die lebten nachweislich nicht mehr.
Er sah sich selbst als gefährlichen Clown an, vor allen Dingen dann, wenn er sein großes Messer in die Hand nahm. Mit dieser Klinge hatte er in früheren Jahren erlegte Tiere gehäutet. Er setzte es allerdings auch gegen Menschen ein, nur seine Frau hatte er damit verschont. Vor ihr fürchtete er sich auch, denn sie war wirklich eine alte, widerliche Vettel, eine böse Mädchenhexe.
»Kommst du endlich?« Ihre Stimme keifte von der Treppe her zu ihm hoch. Sie war wieder in Form, hatte in der Nacht nicht schlafen können und sicherlich ihre Seancen und Beschwörungen durchgeführt. Das sollte ihm egal sein, er war sowieso nicht mehr als ein Helfer.
»Ja, mein Täubchen, ich bin schon unterwegs.« Oleg trat wuchtig gegen die Schranktür, damit sie zufiel. Dann drehte er sich um und ging auf die Tür zu. Seine Schuhe hinterließen auf dem grauen Fußboden dumpfe Echos. Das Holz war nicht mehr zu sehen, und der Schmutz lag dort wie ein Teppich.
Oleg nahm die Kerze mit. Er wollte sich nicht im Dunkeln und auf der engen Treppe den Hals brechen, denn leider war er nicht unsterblich. Was Olinka anging, wusste er das nicht genau. Inzwischen traute er ihr alles zu. Ein derartiges Weib hatte sieben Leben wie eine Katze, und sie beide zusammen hatte man schon als Kinderschreck bezeichnet und sie aus einem Dorf in den Wald gejagt, wo sie jetzt
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