Mexiko, mein anderes Leben (German Edition)
Bei meiner ständigen Rennerei fiel mir immer wieder ein Mann auf, der im Speisewagen seinen Kaffee trank und die Zeitung las. Er kam mir sehr bekannt vor und ich war mir sicher, ihn im Fernsehen schon oft gesehen zu haben. Nun war er eine willkommene Abwechslung. Ein Gespräch mit ihm würde mich von meiner Unruhe ablenken. Ich nahm also meinen ganzen Mut und sprach ihn an. Und tatsächlich: Es war Gregor Gysi. Wir unterhielten uns ganz zwanglos und ich erzählte ihm vom Grund meiner Reise. Er wünschte mir viel Glück und meinte noch:
„ Na, vielleicht ist es der Mann Ihres Lebens!“ Bei diesen Worten sträubte sich alles in mir und ich dachte nur: Wie kommt er denn darauf? Nein, den Mann meines Lebens werde ich bei Ankunft des Zuges bestimmt nicht treffen. Dann wurde der Zug bei seiner Einfahrt in den Münchner Bahnhof immer langsamer. Und je langsamer er wurde, desto schneller schlug mein Herz. In meinem Kopf hämmerte es und ich fragte mich: Was machst du hier? Du willst doch keinen Mann mehr.
Mir war, als würde ich jeden Moment umfallen, als endlich der Zug hielt. Als letzte Reisende stieg ich aus und es stand nur noch ein einziger Mensch auf dem Bahnsteig. Es war Robert, der auf mich wartete und weglaufen konnte ich nun nicht mehr. Ich hatte ja nur dieses eine Bild von ihm, aber nun stand er wirklich vor mir. In den hellblauen Jeans und der braunen Lederjacke wirkte er für seine 54 Jahre unheimlich dynamisch und jugendlich. Die langen, dunklen Haare waren zu einem Zopf zusammengefasst und glänzten im Licht der untergehenden Sonne wie Seide. Nun standen wir uns gegenüber!
Während mein Herz raste, zeigte sich Robert als einziges Nervenbündel. Da waren zwei Menschen, die alles voneinander wussten, da sie sich gegenseitig ihr Leben in langen Briefen anvertraut hatten, doch nun sahen sie sich das erste Mal und hatten das große Herzflattern. Es ging uns wie Teenagern beim ersten Date. Doch endlich sahen wir uns in die Augen und da löste sich der ganze Stress. Wir fielen uns in die Arme. Kein Wort wurde gesprochen, als wir eng umschlungen da standen und ich war mir sicher: Hier geschieht etwas, woran ich niemals gedacht hatte! Robert fühlte es genauso, dass diese Umarmung nun unser ganzes Leben verändern würde. Obwohl ich es nicht mehr geglaubt hatte, wurde mir eines bewusst: Das ist der Mann, den ich gesucht, aber nie gefunden hatte. Hier trafen sich zwei eigentlich fremde Menschen, die ihren Weg nicht nur als Freunde fortsetzen würden. Die berühmte Chemie stimmte einfach. Wie eine große Welle nahm plötzlich dieses Zusammengehörigkeitsgefühl von uns Besitz. Dieses Gefühl kann keiner verstehen, der es selbst noch nicht erlebt hat. Ob wir es wollten oder nicht, in einem Bruchteil von Sekunden war entschieden, dass wir zusammengehören. Auch wenn wir uns innerlich gewehrt hätten, dieses Gefühl war nicht mehr zu verdrängen. Da gab es keinen Fluchtweg und wir wollten auch gar nicht fliehen.
Das ganze Wochenende verbrachten wir gemeinsam in einer unwahrscheinlichen Vertrautheit. So, als würden wir uns schon ewig kennen. Wir brauchten uns nicht zu verstellen, sondern waren in ungeahnter Weise miteinander verbunden. Und mir kam der Gedanke, ob wir uns vielleicht schon in einem früheren Leben begegnet waren. Es war alles so unfassbar schön, wie ich es nie erwartet hatte. Ich wollte doch nur einmal aus meiner Kleinstadt rauskommen und den Menschen kennenlernen, dem ich mein ganzes Leben in E-Mails anvertraut hatte!
Wie ein frisch verliebtes Paar erkundeten wir gemeinsam die Umgebung von München. Als ich zum ersten Mal in meinem Leben die Alpen sah, war ich sprachlos und tief beeindruckt. Die bizarren Berge und die herrlichen Landschaften berührten ganz tief meine Seele. Ich war fasziniert von dieser Schönheit der Natur. Früher waren die Alpen für mich unerreichbar gewesen. Falls von ihnen die Rede war, kam es mir immer so vor, als würde von der Landschaft eines anderen Planeten gesprochen. Ich wollte das alles ganz bewusst genießen, doch eigentlich war mir Robert viel wichtiger als die Alpen. Wir beide wurden gesteuert von einer magischen Anziehungskraft und unseren ersten Kuss werde ich nie vergessen. In einer kleinen Kirche bei Stephanskirchen löste er die berühmten Schmetterlingsgefühle aus. Lauter kleine, bunte Falter schwebten in meinen Bauch umher und ich durfte erfahren, dass meine Empfindungen auch erwidert
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