Mich kriegt ihr nicht!: Gebrauchsanweisung zur digitalen Selbstverteidigung (German Edition)
komplizierter. Soziale Netzwerke und der digitale Exhibitionismus ihrer Nutzer erlauben autoritären Regimes, Demonstranten zu verfolgen und sogar zu identifizieren. Selbst westliche Länder versuchen, Zugriff auf private Kommunikation zu bekommen oder Menschen zu diskriminieren, die ihre Meinung auf Plattformen wie Twitter kundtun.
Social Media – Saat und Ernte
Im Iran zeigten Aktivisten YouTube-Videos von Regierungstruppen, die auf unbewaffnete Demonstranten feuerten. In Tunesien und Ägypten verwendeten Aktivisten Facebook, um Demonstrationen zu organisieren. Mobiltelefone halfen dabei, Aktionen und Demonstrationen mehr Zulauf zu verschaffen. Einer der am häufigsten verwendeten Twitter-Hashtags (das #-Zeichen vor einem Wort, mit dem ein heiß diskutiertes Thema auf Twitter gekennzeichnet wird) verwandelte Occupy in eine internationale Bewegung.
Regierungen versuchten, diese Protestbewegungen zu stoppen. Der ägyptische Präsident Hosni Mubarak fürchtete Twitter und Facebook so sehr, dass er das gesamte Land vom Internet abklemmte. In Syrien dagegen schaltete die Regierung Facebook wieder ein, offenbar um Demonstranten auszuspionieren und zu identifizieren.
Am Ende konnte nichts die Revolutionen aufhalten. Es war noch nie leichter als heute, Menschen für eine Sache zu gewinnen und ein globales Publikum als Zeugen einzuladen. Wer nur auf eine Taste klicken muss, statt auf die Straße zu gehen, bietet gerne Unterstützung. An repressiven Regimes herrscht kein Mangel. Der Thinktank Freedom House macht in seinem jährlichen Report zur Lage der Welt die Rechnung auf, dass nur 45 Prozent aller Länder als »frei« bezeichnet werden können. Knapp ein Drittel ist »teilweise frei«, und 24 Prozent, oder 48 Länder, werden als »unfrei« eingestuft. Letztere Kategorie umfasst 2,5 Milliarden Menschen oder ein Drittel der Weltbevölkerung, die Hälfte davon in China. 1
Engagierte Bürger, Aktivisten und Demonstranten – egal ob in unfreien oder freien Ländern – haben die Auswahl unter einer Vielzahl von Online-Werkzeugen und Diensten, um Unterstützung aufzubauen, zu kommunizieren und spontane Proteste zu organisieren und inszenieren.
Die Sache hat allerdings einen Haken: Die analoge Welt bietet viele Formen des Engagements und des Einsatzes für eine Sache, die Ihnen wichtig ist. Je nachdem, wie sehr Sie sich einbringen wollen, können Sie mitmarschieren, Unterschriften sammeln oder einfach nur Flugblätter auslegen. Aber nie ist dieses Engagement an die universelle Verpflichtung gebunden, sich mit Ihrem echten, vollen Namen und anderen persönlichen Details anzumelden.
Facebook und Google+ allerdings fordern dies. Verlangte jede Bewegung, jeder Protest, gar jede einfache Aufforderung, Zustimmung oder Ablehnung zu äußern, eine Art Log-in, hätte das fatale Folgen. Viele Debatten, die eine Zivilgesellschaft und demokratische Kultur kennzeichnen, würden dadurch unterbunden oder zerstört. Das kreative Chaos eines lebendigen Gemeinwesens wäre bedroht.
Manchmal reicht schon die Angst, nicht frei und unbehelligt sprechen zu können, die Angst, dabei aufgezeichnet und von allen möglichen bekannten wie unbekannten Zuschauern verfolgt zu werden, um eine lebhafte Diskussion abzutöten. Das ist es, was Kritiker der sozialen Medien als partizipatorischen Totalitarismus anprangern: Jeder kann mitmachen, solange er sich für Datenhäscher und Regierungssoftware komplett entblößt und möglichst triviale Dinge beisteuert.
Auf der Straße hatte man bislang noch Optionen: Man konnte Kameras vermeiden, wobei auch die inzwischen allgegenwärtig und preiswert geworden sind. Aufgrund ihrer Präzision vermag eine Videokamera ein einzelnes Gesicht aus einem drei viertel Kilometer Entfernung zu identifizieren. 2 Sie konnten am Rande einer Demo mitlaufen und zusehen, statt zu skandieren, sich einer lautstarken Gruppe fernhalten, die von Sicherheitsorganen umringt war.
Diese Art der Anonymität wird auch in freien Gesellschaften wie der Bundesrepublik oder den USA immer gefährdeter, da Regierungsorgane und private Dienstleister eine Politik der obligatorischen Offenlegung und Transparenz seitens ihrer Kunden oder Bürger erzwingen wollen. Die Kontrollmechanismen reichen von der automatischen Erfassung durch Sensoren, Kameras und Scanner bis zu einem Klarnamen-Gebot und der Vorratsdatenspeicherung.
Terrorist, Aktivist oder ein auf Datenschutz bedachter Bürger?
Einige Menschen sind der Meinung, dass die Verteidigung der
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