Michelle Reid
Dankbarkeit, dass sie Cindy nicht alleine gegenübertreten musste.
Dennoch stieg Furcht in ihr auf, während sie mit Leo das Foyer des Apartmenthauses betrat. Der Hausmeister schaute auf und lächelte.
„Ich habe meine Schlüssel verlegt“, sagte Natasha und erwiderte das Lächeln. „Könnten Sie mir den Ersatzschlüssel ausleihen?“
„Ihre Schwester ist zu Hause, Miss Moyles“, antwortete der Mann. „Ich kann anrufen, damit sie Ihnen öffnet.“ „Nein“, unterbrach Leo. „Wenn Sie nichts dagegen haben, nehmen wie lieber den Ersatzschlüssel.“
Binnen weniger als einer Sekunde war dem Hausmeister klar, wie mächtig und einflussreich der Mann sein musste, dem er sich gegenübersah. Ohne weiteren Protest übergab er den Schlüssel.
Als sie den Aufzug betraten, stieg die heute schon so häufig empfundene Übelkeit wieder in Natasha auf. Sie wollte diese Konfrontation nicht. Es wäre ihr viel lieber gewesen, nie wieder Cindys hübsches Gesicht sehen zu müssen.
„Soll ich für dich gehen?“
Das dunkle Timbre seiner Stimme hüllte sie ein. Natasha tat einen tiefen Atemzug und straffte die Schultern. Mit zusammengepressten Lippen schüttelte sie den Kopf.
Kaum hatte sie einen Fuß in das ultramodern eingerichtete Wohnzimmer gesetzt, sprang Cindy aus einem der schwarzen Ledersessel auf.
Ihre Augen waren gerötet, als habe sie geweint, die Haare zerzaust. „Wo warst du?“, schrie sie Natasha mit schriller Stimme an.
„Das geht dich nichts an“, erwiderte Natasha ruhig.
Cindy ballte die Hände zu Fäusten. „Natürlich geht es mich etwas an. Du arbeitest für mich! Wenn ich sage ‚Spring‘, hast du zu springen! Wenn ich sage …“
„Hol, wofür wir hergekommen sind, agape mou “, meldete Leo sich hinter ihr zu Wort.
Bei seinem Anblick erstarrte Cindy. Die hellblauen Augen weit aufgerissen, wurde sie knallrot. „M…Mr. Christakis“, stammelte sie verlegen.
Aha, Respekt für einen Älteren, dachte Natasha. Mit einem dünnen Lächeln auf den Lippen durchquerte sie das Zimmer und öffnete den Wandtresor, in dem sie ihre persönlichen Papiere aufbewahrte.
„Ich habe nicht mit Ihrem Besuch gerechnet …“
Meine liebe Schwester hat auch nicht damit gerechnet, von Leo Christakis bei ihrem Tête-à-Tête mit Rico ertappt zu werden, ging es Natasha durch den Kopf. Deshalb war es ihr peinlich, ihm jetzt zu begegnen.
Leo sagte nichts. Die Verachtung, die sein Schweigen ausdrückte, ließ Natasha zusammenzucken. Cindy hingegen war es nicht gewohnt, auf diese Weise behandelt oder gar ignoriert zu werden. Verlegenheit und Respekt wandelten sich zu beleidigtem Schmollen und der üblichen Unverfrorenheit, mit der sie normalerweise Natasha bedachte.
„Ich weiß nicht, was du da mit meinem Safe veranstaltest, Natasha, aber du …“
„Halt einfach den Mund, verstanden?“, sagte Leo.
Gerade noch rechtzeitig wandte Natasha sich um, um zu sehen, dass Leo ihre Schwester abschätzig musterte. Dann wandte er sich Natasha zu. „Hast du gefunden, was du brauchst?“
Die Zärtlichkeit in seiner Stimme rührte sie fast zu Tränen. Sie nickte und ging auf zitternden Beinen zu ihm zurück.
Cindy warf ihr einen ängstlichen Blick zu. „Du kannst nicht gehen“, rief sie. „Du kannst mich nicht verlassen. Dieser Idiot Rico ist in Panik geraten und hat auf der Suche nach dir unsere Eltern angerufen. Sie werden bald hier sein!“
Natasha überhörte sie. Ihre Aufmerksamkeit galt allein Leo, der ruhig, wie ein Fels in der Brandung, auf der Türschwelle stand.
„Du bist so blind und dumm, Natasha!“, setzte Cindy ihren Angriff fort. „Glaubst du, ich war die einzige Frau, mit der Rico während eurer Verlobung zusammen war?“
Natasha senkte den Kopf und ging einfach weiter.
„Du bist nur das dickliche Mädchen, das seine Mutter nett findet. Ich habe dir heute einen Gefallen getan. Es war an der Zeit, dass dir jemand die Augen öffnet. Du solltest mir dankbar sein!“
Endlich war Natasha bei Leo angekommen.
„Brauchst du noch etwas?“, fragte er.
„Ein paar Kleider und … andere Dinge“, flüsterte sie.
„Wag es ja nicht, mich zu ignorieren“, kreischte Cindy. „Unsere Eltern werden in einer Minute hier sein. Du wirst ihnen sagen, dass alles deine Schuld ist!“
Kaum hatte Natasha kommentarlos die Tür zu ihrem Schlafzimmer hinter sich geschlossen, trat Leo einen Schritt auf die rasende Cindy zu. „Hör mir jetzt gut zu, du verwöhnte Göre“, sagte er. „Ein falsches Wort von dir
Weitere Kostenlose Bücher