Mick Jagger: Rebell und Rockstar
es kein Establishment mehr gibt, gegen das man sich auflehnen kann? Das ist wie ein Superheld ohne Erzfeind. Wie Superman ohne Lex Luthor oder Batman ohne den Joker.
Die vielleicht interessanteste Frage aber ist, was sich die Monarchie davon versprach, Mick Jagger zum Ritter zu schlagen. Erhofften sie sich, die Skandale, in die die königliche Familie damals verwickelt war – die Situation nach dem tragischen Tod von Prinzessin Diana, das Theater um die Herzogin von York, Charles’ Affäre mit Camilla Parker Bowles –, würden vor diesem Hintergrund weniger skandalös wirken? Mick Jagger sollte die ganze Mischpoke menschlicher erscheinen lassen. Genau darauf wiesen einige Kommentatoren hin.
Letztendlich war es Prinz Charles, der Mick zum Ritter schlug, nicht die Queen. Die Königin erholte sich damals gerade von einer Operation. Und so stand Mick – der Steuerflüchtling, ansonsten aber loyale Untertan – am Morgen des 12. Dezember 2003 auf und zog sich Anzug, Krawatte und einen (schwarzen Leder-)Mantel an. Begleitet von zwei seiner erwachsenen Töchter, Karis (aus der Affäre mit Marsha Hunt) und Elizabeth (aus der Ehe mit Jerry Hall), sowie seinem Vater Joe bestieg er eine Limousine, fuhr zum Palast und kehrte als Sir Mick zurück.
Seitdem ist »Sir Mick« so etwas wie ein wohlwollender Scherz geworden, und anders als beispielsweise Ben Kingsley hat sich Jagger nie dazu geäußert, was sich durch die Ritterwürde für ihn geändert hat. Dennoch ist Keith nie darüber hinweggekommen. Es ist für ihn ein permanenter Stein des Anstoßes, auf den er immer wieder verweist, obschon seit Micks Ehrung inzwischen fast ein Jahrzehnt vergangen ist; keine Frage: Keith wird immer weiterkämpfen. »Sir Mick«, sagte Keith, dem Mick mit seinem Klassenbewusstsein schon immer auf die Nerven gegangen ist, zu einem Journalisten. »Wir reden hier verdammt noch mal von einem Kerl, der an der London School of Economics studiert hat. Das ist doch keiner, der so was nötig hat. Ich finde, er hätte auf einen Adelstitel warten sollen. Ich bin sicher, das mit dem verdammten Ritterschlag war ein übler Trick. Du müsstest eigentlich ein Lord sein. In meinen Augen war das eine schäbige Auszeichnung. Ich würde diese Familie nicht mal mit einem angespitzten Stock an mich ranlassen, von einem Schwert ganz zu schweigen.« Bis heute ist Sir Micks tapferem Mitstreiter die Ehre der Ritterwürde noch nicht zuteil geworden.
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Sir Mick mit seinem Vater und seinen Töchtern Karis und Elizabeth am 12. Dezember 2003 im Buckingham Palace, wo der Stones-Sänger für seine Verdienste um die Popmusik von Prinz Charles zum Ritter geschlagen wurde.
WHO
WANTS
YESTER-
DAY’S
PAPERS?
KAPITEL 21
V ermutlich ist Mick Jagger der am wenigsten sentimentale Rockstar, und man wird das Gefühl nicht los, dass ihm das kommerzielle Ausschlachten der Stones-Vergangenheit, das dem Bedürfnis nach Nostalgie Rechnung trägt, starkes Unbehagen bereitet. »Mick reizt das, was gestern war, nicht besonders«, brachte es Charlie Watts einmal in seiner typisch lakonischen Art auf den Punkt. Seine einzige Reaktion auf Keiths Autobiografie war, ihrem Autor implizit vorzuwerfen, dass er nur aus einem rein kommerziellen Interesse in der Vergangenheit rumgewühlt habe. »Ich persönlich finde es ziemlich ermüdend, die Vergangenheit noch einmal Revue passieren zu lassen. Die meisten Leute tun es nur, weil es für sie lukrativ ist.« Jagger selbst hat vor einigen Jahren einmal einen ansehnlichen Vorschuss für eine geplante Autobiografie eingeheimst, dann aber doch nichts geliefert. Die meisten glauben, dass er sich nicht mehr an alles erinnern kann und sich sogar an Bill Wyman, den selbst ernannten Archivar der Stones (und Autor mehrerer aufschlussreicher Bücher über die Band, darunter seine eigene Autobiografie Stone Alone ) gewandt hat, der ihm allerdings die Tür gewiesen haben soll.
Wahrscheinlicher ist allerdings, dass sich Mick Jagger einfach nicht mit der Vergangenheit auseinandersetzen wollte. Denn die Beschäftigung damit ist mühsam und schmerzhaft und erinnert einen immer wieder an Fehler, die man gemacht, und Freunde, die man verloren hat. Vor noch gar nicht allzu langer Zeit war Ahmet Ertegün infolge eines Unfalls gestorben; er war hinter der Bühne bei einem Stones-Gig im Beacon Theater gestürzt (wo Scorsese Aufnahmen für seine Konzertdoku Shine a Light machte). Der Musikmogul war vorerst der Letzte in einer ganzen Reihe von
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