Mick Jagger: Rebell und Rockstar
Freunden und Bekannten, die verschieden waren. Geschäftstüchtig wie er ist, war Mick natürlich immer bewusst, dass sich mit dem geschickten Ausschlachten der Vergangenheit das meiste Geld verdienen ließ. Als Zwischenbilanzen ihres Schaffens haben die Stones nicht wenige Hit-Kompilationen veröffentlicht. Einige wie Hot Rocks und More Hot Rocks sind in gewisser Weise selbst zu Klassikern geworden (das legendäre Hot Rocks -Plattencover mit den sich überlagernden Profilen der Bandmitglieder gilt als ein Musterbeispiel für innovatives Coverdesign). Trotzdem scheint ihm jegliches Wühlen in der Vergangenheit zuwider zu sein. Warum also beschäftigten sich die Stones nach vierzig Jahren wieder mit ihrem wohl legendärsten Album – das möglicherweise auch den großen Kult begründete, der noch heute um sie getrieben wird – und stellten sich im Frühjahr und Sommer 2010 geschlossen hinter die große Medienkampagne, die um Exile on Main Street getrieben wurde? Wodurch wird der Blick zurück für jemanden, der sich so schnell langweilt und sich so ungern auf seinen Lorbeeren ausruht wie Mick Jagger, interessant und ergiebig?
© Michael Ochs Archives
Das von John Van Hamersveld gestaltete Exile On Main Street- Cover mit den Fotografien von Robert Frank.
Die Antwort darauf lautet: Technik. Digitale Aufnahmeverfahren, digitale Bildverarbeitung – die schöne neue Welt des technisch erzeugten schönen Scheins ließ die Rolling Stones jünger aussehen, jünger klingen und jünger sein. Mit der Welttournee von 2005 und ihrem bisher letzten Studioalbum A Bigger Bang verbeugten sich die Stones zum letzten Mal so vor uns, wie wir sie kannten – damals waren sie Anfang sechzig, aber immer noch topfit. Und gleichzeitig schienen sie im Begriff zu sein, virtuelle Mystiker zu werden. Als die Stones im Zuge der Marketingkampagne für A Bigger Bang das Cover des Rolling Stone zierten, machten sie darauf einen verlebten und alten Eindruck. Das Foto wirkte ein bisschen trostlos und gar nicht so perfekt, wie es derart vital klingende neue Songs wie »Rough Justice« und »Oh No, Not You Again« vermuten ließen.
Als die remasterte Deluxe-Edition von Exile on Main Street 2010 auf den Markt kam, zeigte der Rolling Stone ein Bild von Mick und Keith als Achtundzwanzigjährige auf dem Cover. Zum ersten Mal erschien das Bild eines jüngeren Mick auf einem Cover übrigens 1989 – zu einer Zeit also, als man durchaus auch ein aktuelles Foto hätte wählen können. Diese Pioniertat findet sich in der Ausgabe der Spin vom Dezember 89, in der ein Artikel von Lisa Robinson über die gigantische Steel Wheels -Tour erschien.
Die Stones folgten immer eigenen Vorstellungen im Hinblick auf die Vermarktung ihres Backkatalogs. Auf eine Megatour gingen sie üblicherweise nur mit einem neuen Studioalbum im Gepäck (mit wenigen Ausnahmen wie etwa im Jubiläumsjahr 2002 mit 40 Licks ). »Wenn wir auf Tour gehen, müssen wir eine Platte machen«, sagte Mick einmal. »Damit zeigen wir, dass wir noch immer eine echte, funktionierende Rockband sind. Ich will nicht zu einer dieser Bands gehören, die nur noch ihre Hits spielen. Es gibt natürlich genug Leute, die sagen: ›Ich würde viel lieber »Brown Sugar« hören als irgendeinen von den neuen Songs.‹ Mal ehrlich, es interessiert mich einen Scheiß, was die lieber hätten.« Vielleicht hatte es zu tun mit den überraschend positiven Kritikerreaktionen auf A Bigger Bang – das so gut aufgenommen wurde wie kein anderes Stones-Album seit Undercover 1983 –, dass Mick sich dazu bewegen ließ, im Keller nach alten Schätzen zu graben.
Vielleicht lag es aber auch an dem Schema, das sich sowohl in kommerzieller als auch in kreativer Hinsicht mittlerweile herauskristallisiert zu haben schien. Obschon A Bigger Bang das Lob als »ihr bestes Album seit Jahren« durchaus verdient hat, wurden davon dennoch nicht mehr Exemplare verkauft als von den beiden vorangegangenen Alben. Wie all ihre Platten nach Steel Wheels stieg es anfangs hoch in den Charts ein, was der Band einen Vorwand für eine neue Megatour lieferte, sackte dann aber schnell ab, ohne einen herausragenden Hit zu liefern oder mehr als die üblichen eine Million Exemplare absetzen zu können. (Anscheinend sind das die Exemplare, die an all die Hard-Core-Stones-Fans gehen, denen an der Vollständigkeit ihrer Sammlung gelegen ist.)
2006 wechselten die Stones wieder einmal das Plattenlabel. Diesmal gingen sie von Virgin zu Universal und nahmen
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