Mick Jagger: Rebell und Rockstar
der Mafia.«
Bei Scorsese lief es nicht gut für Tommy, und je nachdem, wen man fragt, war der Ritterschlag von Mick Jagger, dem das britische Establishment einst den Garaus machen wollte, entweder ein Triumph der Gegenkultur oder eine Tragödie, vergleichbar mit einem Schuss ins Gesicht, der es einer Mutter unmöglich macht, den Leichnam des Sohnes offen aufzubahren. Mick Jagger war bei seinem Ritterschlag am 12. Dezember 2003 nicht der erste Rockstar, dem diese Würde zuteil wurde, aber er war gewiss der am wenigsten ritterliche. Nach der Bekanntgabe seiner bevorstehenden Ehrung spalteten sich die Nation, die Fangemeinde der Stones und die Rockwelt umgehend in zwei Lager. So gesehen, war dies die bisher letzte echte Kontroverse, bei der es um Mick Jagger ging. Die Tatsache, dass er sich zum Ritter schlagen ließ, sorgte dafür, dass die Leute so viel über ihn redeten und ihn so sehr in den Fokus des öffentlichen Interesses rückten, wie es seit 1965 keinem einzelnen Rolling Stone mehr widerfahren war. War das gut für England? War das die letzte Demütigung eines zerfallenden Empires und einer lächerlichen Monarchie? War es ein taktisches Manöver von Premierminister Tony Blair, der versuchte, die Rockstars, die ihn einst unterstützt hatten und wegen des umstrittenen Irakkriegs, in den er das Vereinigte Königreich an der Seite von George W. Bush geführt hatte, abtrünnig geworden waren, wieder auf seine Seite zu holen? War Mick ein Pfand? War er ein Blender, besessen von Rang und Namen, der schon lange auf diesen Titel spekuliert hatte? Hatte er den Witz wohl verstanden?
Es gab viele Künstler, die für ihre Verdienste auf dem Gebiet der Kunst geehrt worden sind. Meist waren es Schauspieler, selten Musiker. Micks Beitrag zur Musik und Kultur Großbritanniens stand außer Frage. Vierzig Jahre nach ihrer Gründung löste schon allein der Gedanke an die Rolling Stones bei den Briten generationsübergreifend patriotische Regungen aus. Doch in der öffentlichen Wahrnehmung war der zukünftige Sir Mick ein eher schwer einzuschätzender, schwieriger Typ. Seit seine Ehe mit Jerry Hall 1999 ihren Tiefpunkt erreicht hatte, weidete sich die britische Presse daran und hielt die Leser tagtäglich auf dem Laufenden, welche Mühen es Mick kostete, sein Vermögen von schätzungsweise um die 150 Millionen Pfund zusammenzuhalten. Ob er nun privat für wohltätige Zwecke spendete oder nicht, es gab etliche andere Künstler, die sich in der Öffentlichkeit weitaus stärker sozial engagierten als er. Bob Geldof wurde nach seinem Live-Aid-Projekt zum Ritter geschlagen; er war der erste Rockstar, dem diese Würde zuteil wurde, und ist bis heute der jüngste. Der nächste im Bunde war Paul McCartney. Ein Jahr später folgte Elton John, dessen Einkünfte aus all seinen Singleverkäufen in den 80er- und 90er-Jahren in die AIDS-Forschung geflossen waren und der den Briten 1997 geholfen hatte, ihren Schmerz über den Tod von Prinzessin Diana zu überwinden, indem er seine ehemals Marilyn Monroe gewidmete Ballade »Candle in the Wind« für sie umschrieb.
Was Mick Jagger betraf, war man sich im Allgemeinen einig, dass es ihm nur ums Geld ging. Im Jahr 1997, als die Stones ihr einundzwanzigstes Studioalbum Bridges to Babylon einspielten, landeten die Britpop-Underdogs The Verve gerade ihren ersten Hit mit »Bitter Sweet Symphony«. Der Song enthielt ein Loop einer symphonischen Version des frühen Stones-Hits »The Last Time« (in den Credits für die Orchesterfassung war das Andrew Oldham Orchestra angegeben). Die Rechte an »The Last Time« besaß allerdings immer noch Allen Klein. Anwälte von Kleins Firma Abkco kontaktierten The Verve umgehend und klärten die Band darüber auf, dass ihr Song gar nicht ihnen gehörte (obschon die Lyrics von Leadsänger Richard Ashcroft stammten und Dutzende Hip-Hopper regelmäßig damit durchkamen, Songschnipsel zu sampeln und zu loopen). Als die Angabe Jagger/Richards in den Songwriter-Credits auftauchte und die Lizenzeinnahmen aus der Nummer zu hundert Prozent den Stones zugesprochen wurden, bestärkte das die Allgemeinheit in ihrem Bild von Mick als größtem Geizkragen des Rock’n’Roll, dem keine finanzielle Detailfrage zu geringfügig ist, um sich nicht reinzuknien, damit man noch ein paar Cent rausholen kann. Der erfrischend neue Sound wirkte ebenso authentisch wie die jugendlich-schwermütigen Lyrics des Verve-Songs, wohingegen die Stones – wie schon in den späten 70ern – einen
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