Microsklaven
Dinty-Moore-Gericht aus der Mikrowelle.
Susan schlief im Wohnzimmer vor einem Seinfeld-Video. Todd faltete in seinem Zimmer wie besessen Hemden zusammen.
Michael las zum siebenundachtzigstenmal The Chronicles of Narnia.
Ein netter, durchschnittlicher Abend.
Ich ging in mein Zimmer, das wie alle sechs Zimmer hier mit dem Bett fast völlig ausgefüllt ist, an den Wänden Billy-Regale von IKEA, außerdem eine Stereoanlage, Jazz-Poster und Sierra-Club-Kalender. Auf meinem Schreibtisch eine Sudafed-Schachtel und ein Haufen Steine von einem Strand in Oregon. Mein PC ist per Modem mit dem Campus verbunden. Ich trank ein Tab (eins von Bills Lieblingsgetränken), aß etwas Mikrowellen-Popcorn und machte mich an ein paar unerledigte Arbeiten.
MITTWOCH
T ja, offenbar hat Bug Barbecue doch recht mit seiner Theorie. Michael ist heute zum Lunch eingeladen worden, und zwar von (o Gott, ich kann kaum die Buchstaben eingeben ...) B-B-B-B-B-I-L-L!
Diese Neuigkeit verbreitete sich gegen 11:30 wie der Blitz in Haus sieben. Natürlich sind wir innerhalb weniger Sekunden wie junge Hunde in Bugs Büro getrudelt und dabei über seine Stapel Lötpistolen, Kabel, Sammelboxen und leere CD-Hüllen gestolpert. Natürlich war er todunglücklich. Wir zogen ihn nach Kräften auf:
»Weißt du, Bug, entscheidend muß gewesen sein, daß Michael den Weg über die Böschung genommen und diese unglaubliche Abkürzung gefunden hat. Bill hat Michael bestimmt bei diesem Geniestreich beobachtet, und ich wette, jetzt gibt er ihm seine eigene Produktgruppe. Du hättest nicht auf uns hören sollen, Mann. Wir sind Verlierer. Aus uns wird nie was. Aber Michael - das ist ein Gewinner!« Die Einladung hatte wahrscheinlich mehr mit dem Code zu tun, den Michael letzten Freitag geschrieben hat, als er sich eingebunkert hatte, aber das sagten wir Bug nicht.
D ie zwei Stunden, die Michael weg war, wollten und wollten nicht vorbeigehen. Wir konnten die Neugier kaum ertragen und waren alle zappelig und rastlos. Wir traten aus unseren Büros in die Korridore voller absonderlicher Dinge in Käfigen, wo Far-Side-Cartoom die Fenster zukleisterten, Skulpturen aus Pepsi-Dosen an den Wänden klebten und aufblasbare Haifische von der Decke hingen, alles angestrahlt von dem Teint schmeichelndem Spektrallicht.
Wir widmeten uns einer unserer Streßabbau-Taktiken, was wir etwa einmal wöchentlich zu tun pflegen - wir klauten ein paar Lagen Jiffy-Plastik aus den Materialräumen und überrollten sie mit unseren Bürostühlen, wobei jedesmal Hunderte von Plastikpickeln zerplatzten. Wir folterten Plastik-Trolle mit 5er-Golfschlägern, indem wir sie den Flur hinunterschossen und dabei weitere Beulen in die Sperrholzwände und Deckenpaneele schlugen. Wir tranken Tab und zogen träge über die Interaktive-CD-Technologie her. (Todd: »Ich hab' mal das CDI-System von Philips ausprobiert - das ist so, als würde man versuchen, sich einen Bildband anzuschauen, bei dem alle Seiten zusammengeklebt sind.«)
Schließlich kam Michael zurück. Daß alle auf ihn gewartet hatten, nahm er gar nicht wahr. Er ging an uns vorbei in sein Büro. Ich stellte mich in seine Tür.
»Hi, Michael.« Pause. »Uuuuuund ...?«
»Hallo, Daniel. Ich muß heute abend nach Cupertino fliegen.
Sie schicken mich wegen irgendeiner Macintosh-Sache hin.«
»Und wie war ... äh ... er?«
»Ach, weißt du ... effizient. Man vergißt immer, daß er medizinisch und biologisch ein Genie ist. Das ganze Essen über hat er nicht einmal ›Äh‹ oder ›Öh‹ gesagt, kein bißchen geistige Energie vergeudet. Wirklich eine Inspiration für uns alle. Ich habe ihm von meinem Flachländer-Konzept erzählt, wonach man nur flaches Essen zu sich nehmen sollte, und daraus entwickelte sich ein Gespräch über Getränke, die, wie du weißt, oft mit einem Strohhalm auf lineare, eindimensionale (also nicht zweidimensionale) Weise konsumiert werden. Getränke sind für meinen neuen Flachländer-Eßstil ein echtes Problem, Daniel, das kann ich dir sagen.
Aber dann wies mich Bill ...« (Oho, man nennt sich schon beim Vornamen!) »... darauf hin, daß Eindimensionalität innerhalb eines zweidimensionalen Universums durchaus vertretbar ist. Das ist doch offensichtlich, und trotzdem bin ich nicht drauf gekommen! Gut, daß er der Mann an der Spitze ist. Ach - Daniel, kann ich mir deinen Koffer leihen? In meinem sind meine alten Habitrail-Hamsterlabyrinthe drin, und ich will sie nicht alle rausnehmen und nachher wieder einpacken
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