Microsklaven
Moment lag eine gereizte Spannung in der Luft.
Karla machte dem Spuk ein Ende. Sie sagte: »Na ja, wenigstens ist das binär, oder?« Und ich antwortete: »Ja«, und sie fuhr fort: »Wir sind schon ein paar Geeks, was?«
(Hier eine weitere Fußmassage einfügen.)
N och etwas später fing Karla wieder an. »Da ist noch mehr, Dan. Das mit der Dummheit. Der Sonnenstich.« Es überraschte mich nicht, das zu hören. »Das hab' ich mir gedacht. Und ... Willst Du's mir erzählen?« Die Sterne vor dem Fenster sahen irgendwie verwischt aus, und ich wußte nicht, ob ich Wolken sah oder die Milchstraße. »Es hatte seinen Grund, daß ich vor ein paar Jahren wieder bei meinen Eltern war ... als die Sache mit dem Sonnenstich passierte.«
»Ja?«
»Ich versuch's mal anders. Weißt du noch, wie du mir damals bei Microsoft das Gurkenröllchen gebracht hast ... aus heiterem Himmel, einfach so?«
»Allerdings.«
»Nun ja ...« (sie küßte meine Augenbraue) »... das war das erstemal nach ungefähr zehn Jahren, daß ich wirklich Lust hatte, etwas zu essen.« Ich schwieg. Sie redete weiter: »Als ich damals meinen Sonnenstich hatte, hatte ich sehr, sehr lange nichts gegessen, und ich wog ungefähr soviel wie eine Franklin-Mint-Figur. Mein Körper begann innerlich zu sterben, und meine Eltern fürchteten, ich sei zu weit gegangen, und ich glaube, ich machte mir sogar selber angst. Du findest mich jetzt noch zierlich, aber, Junge Junge, du solltest mal... Naja, du kannst die Fotos nicht sehen, ich hab' sie alle vernichtet... Bilder von mir in meiner ›Phase‹, wie meine Eltern das nennen.«
Sie hatte sich zusammengerollt, und meine linke Hand lag unter ihren Füßen und die rechte auf ihrem Kopf. Ich umfaßte sie fester, drückte sie an meinen Bauch und sagte: »Jetzt bist du mein Baby: Du bist tausend Diamanten - eine Handvoll Freundschaftsringe - Kreide für eine Million Himmel-und-Hölle-Spiele.«
»Ich wollte das nicht tun, Dan - es ist einfach passiert. Mein Körper war das einzige Medium, mit dem ich ausdrücken konnte, was ich zu sagen hatte - und das war nichts Gutes. Ich habe mich selbst zerstört. Am Ende hat die Arbeit mir das Leben gerettet. Aber dann ist die Arbeit zu meinem Leben geworden - medizinisch gesehen lebte ich, aber ich hatte nichts vom Leben. Und ich hatte solche Angst. Ich dachte, es gäbe nichts anderes mehr als die Arbeit. Und, mein Gott, ich war zu allen so gemein. Aber ich hatte nun mal diese schreckliche Angst. Meine Eltern. Sie wollen einfach nicht verstehen, was mit mir los war. Wenn ich sie sehe, will ich verhungern. Es geht einfach nicht. Ich kann sie nicht sehen.« Ich schob meinen Unterarm unter ihren Kniekehlen durch und zog sie so fest zusammen, wie es ging. Ihr Hals ruhte auf meinem anderen Arm. Ich deckte uns zu, und ihr Atem war heiß und kurz und ging in winzigen Stößen, wie NutraSweet-Tütchen.
»Es gibt einfach so viel, was ich vergessen will, Dan. Ich dachte, ich würde zu einer READ-ONLY-Datei. Ich hätte nie gedacht, daß ich jemals ... interaktiv sein würde.« Ich sagte: »Mach dir keine Sorgen, Karla. Irgendwann vergessen wir sowieso alles. Wir sind Menschen; wir sind Amnesiemaschinen.«
E s ist spät, und Karla schläft, blau angestrahlt vom Licht des PowerBooks.
Ich denke an sie, während ich diese Worte eingebe, mein armes kleines Mädchen, aufgewachsen in einer Kleinstadt bei einer Familie, die ihr keinen Mut machte, ihr phantastisches Gehirn zu benutzen, die ihr sogar Steine in den Weg legte, wenn sie es trotzdem versuchte - dieses zerbrechliche Ding, das auf die einzige Weise, die es kannte, die Hand nach der Welt ausstreckte: in Form von Zahlen und Code-Zeilen, in der Hoffnung, auf diesem Weg Empfindungen und Ausdrucksmöglichkeiten zu finden. Ich verspürte einen Energieschub: Was für eine Ehre, daß sie mich in ihre Welt gelassen hat -damit ich an der Seite einer Seele sein kann, die so hungrig und energiegeladen ist und die es so sehr im Universum vorantreibt. Ich will ihr zu essen geben. Ich ...
E s gibt in der Computertechnik einen Ausdruck dafür, wenn man versucht, etwas in einem Stück in ein anderes Betriebssystem zu quetschen, wobei das Ergebnis nicht immer befriedigend ist. Das nennt man »spoogen«. Zum Beispiel: »Die Verbraucher wissen es noch nicht, aber Microsoft wird einen Großteil des Interfaces von Word für Windows in Word 6.0 für Mac spoogen, und Gerüchten zufolge wird die neue Mac-Version deshalb so langsam arbeiten, wie ein Gletscher
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