Microsklaven
Oregon, standen direkt an der Autobahn jede Menge Häuser zum Verkauf, und überall hatten sie diese verzweifelten Werbetafeln aufgestellt: WENN SIE HIER WOHNEN WÜRDEN, WÄREN SIE JETZT SCHON ZU HAUSE: Karla hupte, winkte aus dem Fenster des Microbus und zeigte auf das Schild. Konvoi-Humor. Wir hatten verabredet, jedesmal zu hupen, wenn wir ein überfahrenes Tier sahen, und unsere Hupen hätten fast den Geist aufgegeben, so oft drückten wir darauf.
In einem Diner sahen wir im Fernsehen, daß die acht Männer und Frauen von Biosphere 2 in Arizona nach zwei Jahren in einer hermetisch abgeschlossenen, selbstreferentiellen, autarken Umgebung wieder in die normale Welt zurückkehrten. Mein Mitgefühl hatten sie. Und ihre Uniformen sahen aus wie aus Star Trek.
W ir tauschten die Wagen, und ich fuhr eine Zeitlang Karlas Microbus, doch der Panasonic-Reiskocher voller klappernder Kassetten im Kofferraum machte mich verrückt. Ich kam nicht an ihn heran, weil er zu tief unter Bergen von Kram vergraben war, und daher tauschten wir in der Nähe von Klamath Falls die Autos zurück.
N achdem wir die kalifornische Grenze überquert hatten, aßen wir in einem Cafe zu Abend. Wir unterhielten uns darüber, daß die Gesellschaft sich immer schneller verändert. Karla sagte: »Wir leben in einer Ära ohne historische Vorläufer - das heißt, die Geschichte hilft uns nicht mehr, die gegenwärtigen Veränderungen zu verstehen. Man kann zum Beispiel nicht anhand des Krieges von 1709 (das Jahr hab' ich mir jetzt ausgedacht, obwohl es ganz bestimmt 1709 einen Krieg gegeben hat) Parallelen zwischen damals und heute ziehen. 1709 gab es keinen Federal Express, kein SkyTel-Pager-System, keine 1 -800-Nummern und keine Hüftprothesen - und man hatte damals noch keine Vorstellung davon, wie unser Planet aus dem Weltraum aussieht.«
Sie nuckelte an ihrem Milchshake. »Die Karten werden neu gemischt; neue Spiele werden erfunden. Und wir sind jetzt auf dem Weg zur Spielkartenfabrik.«
P sychokrise! Wir haben beim Essen über Susans neues Image geredet, und dabei erzählte ich Karla, daß Susans Mutter etwas ziemlich Schlaues gemacht hat, als Susan noch klein war. Sie sagte ihr, sie hätte einen extrem hohen IQ, damit Susan niemals versuchen konnte, sich dumm zu stellen, als sie älter wurde. Deshalb hat Susan auch wirklich nie so getan, als sei sie blöd - sie hatte niemals Angst vor Physik oder Mathe. Vielleicht liegen da die Wurzeln ihrer ganzen Verwandlung zum Riot Grrrl.
Als sie das hörte, flippte Karla aus. Es stellte sich heraus, daß Karlas Eltern ihr immer gesagt hatten, sie sei dumm. Alles, was Karla jemals im Leben erreicht hatte - ihre Zeugnisse und ihre Fähigkeit, mit Zahlen und Codes umzugehen -, hatte sie gegen ihre Eltern durchsetzen müssen, die ihr immer wieder sagten: »Wieso willst du dir denn mit so was den Kopf vollstopfen - das ist doch viel eher was für deinen Bruder Karl.«
»Karl ist nett, und wir mögen uns«, sagte Karla, »aber er hat nun mal einen IQ von exakt 100 - da geht kein Weg dran vorbei. Meine Eltern wollten, daß er Atomphysiker wird. Damit sind sie ihm wahnsinnig auf die Nerven gegangen. Alles, was Karl will, ist, einen Lucky Mart zu betreiben und Football zu gucken. Sie haben sich immer geweigert, das in uns zu sehen, was wir sind.« Sie war nicht zu bremsen:
»Ein Beispiel: Einmal kam ich zu Besuch nach Hause, und das Telefon war kaputt, also fing ich an, es zu reparieren. Doch Dad nahm es mir weg, mit den Worten: ›Das soll Karl mal probieren‹, dabei wollte Karl bloß fernsehen und konnte ums Verrecken kein Telefon reparieren. Und so schrie ich meinen Dad an, Karl schrie meinen Dad an, und meine Mom kam rein und zerrte mich in die Küche, um mit mir über ›Frauenthemen‹ zu reden. Beknacktehackbratenrezepte.« Karla schäumte vor Wut. Sie kann ihren Eltern nicht verzeihen, daß sie ihr ihr ganzes Leben lang einzureden versucht haben, sie sei doof.
S päter waren wir zu blau, um noch zu fahren, und so quartierten wir uns in einem Days Inn in Yreka ein. Während einer Shiatsu-Einlage vor dem Schlafengehen fingen wir an, über Spion und Spion zu reden, den alten Mad -Comic, und darüber, daß man sich beim allerersten Lesen ganz willkürlich entweder für den schwarzen oder den weißen Spion entschied und dieser Wahl die restliche Zeit seiner Mad -Phase unerschütterlich treu blieb.
Ich war immer für den schwarzen Spion und Karla für den weißen. So bescheuert das auch war - für einen
Weitere Kostenlose Bücher