Microsoft Word - Christian Jacq - RAMSES3 - Die Schlacht von Kadesch.rtf
Halbedelsteinkette. In dem langen, in der Mitte von einem Gürtel mit breiten Zipfeln gehaltenen feingefältelten Leinenkleid verkörperte sie die höchste Autorität.
«Begleite mich zur nördlichen Kaserne», sagte sie zu Ameni.
«Geh dort nicht hin, Majestät! Warte ab, bis sich die Aufregung gelegt hat.»
«Das Böse und das Chaos gehen nie von selbst zugrunde. Eilen wir uns.»
Ganz Pi-Ramses war erfüllt von Getöse und Gerede. Einige behaupteten, die Hethiter stünden kurz vor dem Delta, andere beschrieben bereits die Kämpfe, und wieder andere schickten sich schon an, in den Süden zu fliehen.
Vor dem Tor der Kaserne des Nordens stand schon keine Wache mehr. Der Wagen mit Ameni und der Mutter des Königs fuhr in den großen Hof ein, wo von Ordnung nichts mehr zu erkennen war.
Die Pferde blieben in der Mitte des weiten Raumes stehen.
Ein Offizier der Wagenmeisterei erkannte die Mutter des Königs und verständigte einige seiner Amtsbrüder, die wiederum ein paar Soldaten zusammentrommelten. Es dauerte nicht lange, da standen Hunderte von Männern vor Tuja, um ihren Worten zu lauschen.
Da stand sie, die zierliche, nicht gerade große Tuja, mitten unter all den bewaffneten Kolossen, die sie in Windeseile hätten zertrampeln können… Ameni zitterte am ganzen Leib. Das war ja Selbstmord, was die Königin da vorhatte. Sie wäre besser im Palast geblieben, unter dem Schutz ihrer Leibwache. Beruhigende Worte könnten bestenfalls die Spannung ein wenig lindern, sofern sie es geschickt anstellte.
Schweigen herrschte.
Mißbilligend blickte die Mutter des Königs in die Runde.
«Ich sehe nur Feiglinge und Versager», erklärte sie mit harscher Stimme, die wie ein Donnerschlag an Amenis Ohr hallte. «Feiglinge und Dummköpfe, die nicht fähig sind, ihr Land zu verteidigen, da sie dem erstbesten Gerücht Glauben schenken.»
Ameni schloß die Augen. Weder Tuja noch er würden der Wut der Soldaten entkommen.
«Wieso beleidigst du uns, Majestät?» fragte ein junger Offiziersanwärter der Wagenmeisterei.
«Ist es eine Beleidigung, wenn man die Zustände beschreibt? Euer Benehmen ist lächerlich und verachtenswert, die Offiziere sind noch mehr zu tadeln als die Truppen.
Wer entscheidet über unseren Einsatz im Krieg gegen die Hethiter, wenn nicht der Pharao? Und während seiner Abwesenheit wer sonst außer mir?»
Die Stille wurde belastend. Was die Mutter des Königs jetzt sagen würde, wäre kein Gerücht. Dabei ginge es um das Schicksal des gesamten Landes.
«Ich habe keinerlei Kriegserklärung vom Herrscher aus Hatti erhalten», betonte sie.
Jubel war die Antwort auf diese Worte. Tuja hatte nie gelogen. Die Soldaten beglückwünschten sich gegenseitig.
Da die Mutter des Königs weiterhin unbeweglich auf ihrem Wagen stand, begriffen die Umstehenden, daß ihre Rede noch nicht beendet war. Erneut machte sich Schweigen breit.
«Ich kann nicht behaupten, daß der Friede von Dauer sein wird, und bin sogar überzeugt, daß die Hethiter kein anderes Ziel verfolgen als den erbarmungslosen Kampf, dessen Ausgang dann von euch abhängen wird. Sobald Ramses wieder hier in der Hauptstadt ist, und das wird bald sein, soll er stolz sein können auf seine Armee und Vertrauen haben in ihre Fähigkeit, den Feind zu besiegen.»
Beifall schlug ihr entgegen.
Ameni öffnete wieder die Augen, auch er war beeindruckt von der Überzeugungskraft, die Sethos’ Witwe zu entfalten vermochte.
Der Wagen ruckte an, die Soldaten traten beiseite und riefen einstimmig Tujas Namen.
«Kehren wir jetzt in den Palast zurück, Majestät?»
«Nein, Ameni. Ich vermute, daß die Arbeiter in der Gießerei auch aufgehört haben, sich noch Mühe zu geben.»
Der Oberste Schreiber des Königs schlug die Augen nieder.
Weil Tuja den Anstoß dazu gab, nahmen auch die Waffenschmiede die Arbeit wieder auf. In gewohntem Einklang fertigten sie Lanzen, Bogen, Pfeilspitzen, Schwerter, Schilde, Waffenröcke und Streitwagenteile. Niemand zweifelte mehr daran, daß der Krieg kurz bevorstand, aber nun gab es neuen Ansporn: Man mußte besser gerüstet sein als die Hethiter!
Die Mutter des Königs besuchte die Kasernen und sprach mit Offizieren und einfachen Soldaten. Sie versäumte es auch nicht, sich zu jener Halle zu begeben, wo die soeben gebauten Kampfwagen abgestellt wurden, und dort beglückwünschte sie die Handwerker zu ihrer Arbeit.
Die Angst schien wie verflogen, jeder fühlte sich wieder stark für den Kampf.
Wie süß sie war, diese zierliche
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