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Microsoft Word - Daniel Kehlmann Die Vermessung der Welt

Microsoft Word - Daniel Kehlmann Die Vermessung der Welt

Titel: Microsoft Word - Daniel Kehlmann Die Vermessung der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dfg
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stand er auf einer Wiese. In einem Lehnstuhl, noch immer im Schlafrock, mit wirrem Haar und nackten Füßen, saß der Graf und trank Tee.
Beeindruckend, sagte Gauß.
Früher sei es viel schöner gewesen, sagte der Graf. Gartenpersonal sei heute teuer, und die französische Einquartierung habe viel zerstört. Erst seit kurzem sei er wieder hier. Er sei in der Schweiz gewesen, ein Ausgewanderter, jetzt hätten die Dinge sich vorübergehend geändert. Ob der Herr Geodät sich nicht setzen wolle?
Gauß sah sich um. Es gab nur einen Stuhl, und in dem saß der Graf. Nicht unbedingt, sagte er zögernd.
Ja nun, sagte der Graf. Dann könne man gleich verhandeln.
Eine bloße Formsache, sagte Gauß. Um freie Sicht auf den Scharnhorster Meßpunkt zu haben, müsse er drei Bäume des gräflichen Waldes fällen und einen offenbar seit Jahren leerstehenden Schuppen abreißen.
Scharnhorst? So weit könne doch kein Mensch sehen!
Doch, sagte Gauß, sofern man gebündeltes Licht verwende. Er habe ein Instrument entwickelt, welches Blinksignale über ungeahnt weite Strecken senden könne. Zum erstenmal sei damit eine Verständigung zwischen Erde und Mond möglich.
Erde und Mond, wiederholte der Graf.
Gauß nickte lächelnd. Er sah genau, was sich jetzt im Kopf des alten Dummkopfs tat.
Was Bäume und Schuppen angehe, sagte der Graf, so handle es sich um eine Fehleinschätzung. Der Schuppen sei bitternotwendig. Die Bäume seien wertvoll.
Gauß seufzte. Er hätte sich gern gesetzt. Wie viele solcher Gespräche hatte er schon fuhren müssen? Natürlich, sagte er müde, aber man solle nicht übertreiben. Er wisse gut, was ein bißchen Holz und eine Hütte wert seien. Gerade in dieser Zeit dürfe man den Staat nicht durch Unmäßigkeit belasten.
Patriotismus, sagte der Graf. Interessant. Besonders, wenn ihn jemand einfordere, der bis vor kurzem französischer Beamter gewesen sei.
Gauß starrte ihn an.
Der Graf nippte an seinem Tee und bat, ihn nicht falsch zu verstehen. Er mache niemandem Vorwürfe. Es seien schlimme Zeiten gewesen, und jeder habe sich nach seinen Möglichkeiten verhalten.
Seinetwegen, sagte Gauß, habe Napoleon auf den Beschuß Göttingens verzichtet!
Der Graf nickte. Er sah nicht überrascht aus. Nicht jeder habe das Glück gehabt, vom Korsen geschätzt zu werden.
Und kaum einer die Verdienste, sagte Gauß.
Der Graf bückte versonnen in seine Tasse. Im Geschäftlichen jedenfalls scheine der Herr Geodät nicht so unerfahren, wie er sich gebe.
Gauß fragte, wie er das verstehen solle.
Er könne doch davon ausgehen, daß der Herr Geodät ihn in landesüblicher Konventionalmünze bezahlen werde?
Selbstverständlich, sagte Gauß.
Dann frage er sich aber, ob dem Herrn Geodät diese Ausgaben vom Staat nicht in Gold erstattet würden. Falls dem nämlich so sei, gebe es einen hübschen Kursgewinn. Um das zu sehen, müsse man kein Mathematiker sein.
Gauß lief rot an.
Jedenfalls nicht der sogenannte Fürst der Mathematiker, sagte der Graf, der so etwas wohl kaum einfach außer acht lasse.
Gauß faltete die Hände auf dem Rücken und betrachtete die auf den Palmenstämmen wachsenden Orchideen. Nichts davon sei gegen das Gesetz, sagte er mit gepreßter Stimme.
Kein Zweifel, sagte der Graf. Er sei sicher, der Herr Geodät habe das geprüft. Übrigens habe er große Bewunderung für die Vermessungsarbeit. Es sei eine wunderliche Beschäftigung, monatelang mit Instrumenten herumzuziehen.
Nur wenn man es in Deutschland tue. Wer das gleiche in den Kordilleren unternehme, werde als Entdecker gefeiert.
Der Graf wiegte den Kopf. Hart sei es wohl dennoch, zumal wenn man daheim Familie habe. Der Herr Geodät habe doch Familie? Eine gute Frau?
Gauß nickte. Die Sonne kam ihm zu hell vor, und die Pflanzen beunruhigten ihn. Er fragte, ob sie über den Kauf der Bäume sprechen könnten. Er müsse weiter, seine Zeit sei knapp!
So knapp wohl auch nicht, sagte der Graf. Wenn man Verfasser der Disquisitiones Arithmeticae sei, so müsse man es eigentlich nie wieder eilig haben.
Gauß sah den Grafen verblüfft an.
Bitte keine unnötige Bescheidenheit, sagte der Graf. Der Abschnitt über die Kreisteilung gehöre zum Bemerkenswertesten, was er je gelesen habe. Er habe da Gedanken gefunden, von denen sogar er noch habe lernen können.
Gauß lachte auf.
Doch doch, sagte der Graf, er meine es ernst.
Es erstaune ihn, sagte Gauß, hier einen Mann mit solchen Interessen zu treffen.
Er solle lieber von Wissen sprechen, sagte der Graf. Seine Interessen seien sehr

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