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Microsoft Word - Daniel Kehlmann Die Vermessung der Welt

Microsoft Word - Daniel Kehlmann Die Vermessung der Welt

Titel: Microsoft Word - Daniel Kehlmann Die Vermessung der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dfg
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Angeblich kamen auf jeden Menschen eine Million Insekten. Selbst mit viel Glück und Geschick konnte man die nicht alle ausrotten. Er setzte sich auf einen Baumstumpf, holte ein hartes Stück Brot aus der Tasche und biß vorsichtig hinein. Sekunden später schwirrten die ersten Wespen um seinen Kopf. Nüchtern betrachtet mußte man annehmen, daß die Insekten gewinnen würden.
Er dachte an seine Frau Minna. Er hatte sie nie belogen. Zuerst hatte er überlegt, Nina zu heiraten, aber in einem langen Brief hatte ihn Bartels überzeugt, daß er das nicht tun dürfe. Also hatte er Minna erklärt, daß er jemanden für die Kinder brauche und für den Haushalt und seine Mutter, daß er nun einmal nicht allein leben könne, und immerhin sei sie Johannas beste Freundin gewesen. Ihre Verlobung mit irgendeinem Schafskopf war erst kurz zuvor gelöst worden, sie war nicht mehr jung, ihre Chancen auf Heirat standen schlecht. Sie hatte verschämt gekichert, war hinausgegangen und wieder zurückgekommen und hatte an ihrem Kleid gezupft. Dann hatte sie ein wenig geweint und angenommen. Er dachte an ihre Hochzeit, an den Schrecken, der über ihn gekommen war, als er sie in Weiß gesehen hatte, die großen Zähne zu einem glücklichen Lächeln gebleckt. Da hatte er seinen Fehler erkannt. Das Problem war nicht, daß er sie nicht liebte. Das Problem war, daß er sie nicht ausstehen konnte. Daß ihre Nähe ihn nervös und unglücklich machte, daß ihre Stimme ihm vorkam, als kratze Kreide auf einer Schiefertafel, daß er sich schon einsam fühlte, wenn er ihr Gesicht nur von weitem sah, und allein der Gedanke an sie ausreichte, ihn wünschen zu lassen, er wäre tot. Warum er Landvermesser geworden war? Um nicht daheim zu sein.
Er bemerkte, daß er schon wieder die Orientierung verloren hatte. Er blickte auf. Die Baumwipfel ragten in einen diesigen Himmel. Der Waldboden federte unter seinen Schritten. Er mußte aufpassen, auf den feuchten Wurzeln rutschte man leicht aus. Zu Mittag würde er wohl bei einem Bauern essen müssen, und wie immer würde er von der Brotsuppe und der fetten Milch Bauchkrämpfe kriegen. Und daß das Schwitzen nicht gesund war, sagte einem jeder Arzt im Land.
Stunden später fand Eugen ihn schimpfend durch den Wald streifen.
Warum erst jetzt, brüllte Gauß.
Eugen beteuerte, daß er nichts für die Verspätung könne, ein Bauer habe ihn in die falsche Richtung geschickt, dann habe er die Markierung am Schuppen übersehen, sie sei zu niedrig aufgemalt gewesen, und eine Ziege habe genau davor gelegen. Als er das Kreuz dann doch bemerkt habe, habe sie ihn auch noch angegriffen. Er sei noch nie von einer Ziege gebissen worden. Daß so etwas passieren könne, habe er nicht gewußt.
Gauß streckte seufzend die Hand aus, in Erwartung einer Ohrfeige zuckte der Junge zurück. Dabei hatte er ihm nur auf die Schulter klopfen wollen. Ärger stieg in Gauß auf, jetzt konnte er die Geste nicht mehr zu Ende fuhren, ohne sich zu blamieren. Also mußte er ihm einen Klaps auf die Wange geben. Der geriet ein wenig zu fest, und Eugen sah ihn mit aufgerissenen Augen an.
Wie stehst du denn da, sagte Gauß, weil er den Schlag begründen mußte. Halt dich gerade! Er nahm Eugen den zusammengelegten Heliotrop aus den Händen. Kein Zweifel, der Junge hatte Minnas Verstand und vom Vater nur die Neigung zur Melancholie. Zärtlich strich Gauß über die Kristallspiegel, die Skalen und das schwenkbare Teleskop. Diese Erfindung würden die Menschen lange verwenden! Er wünschte, sagte er, er hätte das Gerät dem Grafen demonstrieren können.
Welchem Grafen?
Gauß stöhnte. Er war von klein auf an die Trägheit der Menschen gewöhnt. Aber seinem eigenen Sohn konnte er sie nicht durchgehen lassen. Dummer Esel, sagte er und ging los. Bei dem Gedanken daran, wieviel noch zu tun war, wurde ihm schwindlig. Deutschland war kein Land der Städte, es war bevölkert von Bauern und ein paar kauzigen Aristokraten, es bestand aus Tausenden Wäldern und Dörfchen. Ihm war, als müßte er sie alle aufsuchen.

Die Hauptstadt 

    In Neuspanien wartete der erste Reporter. Fast hätten sie es nicht bis dorthin geschafft, weil der Kapitän des einzigen Schiffes nach Veracruz sich geweigert hatte, Ausländer an Bord zu nehmen. Pässe hin oder her, er sei Neugranadier, Spanien interessiere ihn nicht, und Urquijos Siegel sei bedeutungslos, hier sowieso und jetzt auch drüben. Bestechungsgeld hatte Humboldt aus Prinzip nicht bezahlen wollen, schließlich hatten sie es

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