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Microsoft Word - Daniel Kehlmann Die Vermessung der Welt

Microsoft Word - Daniel Kehlmann Die Vermessung der Welt

Titel: Microsoft Word - Daniel Kehlmann Die Vermessung der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dfg
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an. Die Knie wurden ihm weich vor Schreck, denn von solchen Dingen hatte er gehört. Eilig ging er weiter, drehte sich auch nicht um, als sie ihm nachlief, und erfuhr nie, daß sie ihm bloß hatte sagen wollen, daß er seine Mütze verloren hatte. In einem Wirtshaus trank er zwei Gläser Bier. Die Arme verschränkt, betrachtete er die nasse Tischplatte. Er war noch nie so traurig gewesen. Nicht seines Vaters wegen, denn der war fast immer so, auch nicht wegen seiner Einsamkeit. Es lag an der Stadt selbst. Der Menge der Menschen, der Höhe der Häuser, dem schmutzigen Himmel. Er schrieb ein paar Gedichtzeilen. Sie gefielen ihm nicht. Er starrte vor sich hin, bis zwei Studenten in Schlapphosen und mit modisch langem Haar sich zu ihm setzten. Göttingen, fragte der eine Student. Ein berüchtigter Platz. Da gehe es hoch her!
Eugen nickte verschwörerisch, obwohl er davon nichts wußte.
Aber sie werde kommen, sagte der andere Student, die Freiheit, trotz allem.
Sie werde sicherlich kommen, sagte Eugen.
Ungesäumt und wie ein Dieb in der Nacht, sagte der erste.
Nun wußten sie, daß sie etwas gemeinsam hatten.
Eine Stunde später waren sie auf dem Weg. Wie es unter Studenten Sitte war, ging Eugen mit dem einen von ihnen eingehängt, der andere folgte in dreißig Schritten Abstand, damit kein Gendarm sie aufhielt. Eugen verstand nicht, daß man so lange unterwegs sein konnte: Immer neue Straßen, immer noch eine Kreuzung, und auch der Vorrat an umhergehenden Leuten schien unerschöpflich. Wohin wollten die alle, und wie konnte man so leben?
Humboldts neue Universität, erzählte der Student neben Eugen, sei die beste der Welt, organisiert wie keine andere, mit den namhaftesten Lehrern des Landes. Der Staat fürchte sie wie die Hölle.
Humboldt habe eine Universität gegründet?
Der ältere, erklärte der Student. Der anständige. Nicht der Franzosenknecht, der den Krieg über in Paris gehockt habe. Sein Bruder habe ihn öffentlich zu den Waffen gerufen, aber er habe getan, als wäre das Vaterland nichts. Während der Besatzung habe er am Eingang seines Berliner Schlosses ein Schild anbringen lassen, man solle nicht plündern, der Eigentümer sei Mitglied der Pariser Akademie. Widerlich!
Die Straße führte steil aufwärts, dann schräg hinab. Vor einer Haustür standen zwei junge Männer und fragten nach der Losung.
Frei im Kampf.
Das sei die vom letzten Mal.
Der zweite Student trat zu ihnen. Die beiden flüsterten miteinander. Germania?
Schon lange nicht mehr.
Deutsch und frei?
Ach je. Die Wächter tauschten einen Blick. Dann sollten sie eben so hinein.
Über eine Treppe gelangten sie in einen nach Schimmel riechenden Kellerraum. Kisten standen auf dem Boden, in den Ecken stapelten sich Weinfässer. Die zwei Studenten schlugen ihre Rockaufschläge um und entblößten schwarzrote Kokarden, durchwirkt mit Goldfäden. Sie öffneten eine Luke im Boden. Eine enge Stiege führte in einen zweiten, tiefer gelegenen Keller.
Sechs Stuhlreihen vor einem wackligen Stehpult. An den Wänden hingen schwarzrote Wimpel, etwa zwanzig Studenten warteten schon. Alle hatten Stöcke, einige trugen polnische Mützen, andere altdeutsche Hüte. Ein paar steckten in selbstgeschneiderten Schlapphosen mit breiten, mittelalterlichen Gürteln. An den Wänden angebrachte Fackeln warfen tanzende Schatten. Eugen setzte sich, ihm war schwindlig von der schlechten Luft und der Aufregung. Man sage, flüsterte jemand, daß er selbst kommen werde. Er oder einer wie er, man wisse es nicht, er sei in Freyburg an der Unstrut festgesetzt, doch angeblich ziehe er immer wieder inkognito durchs Land. Nicht auszudenken, wenn er es wirklich wäre. Das Herz hielte es ja nicht aus, ihn leibhaftig zu sehen.
Immer mehr Studenten trafen ein, stets in Zweiergruppen, stets eingehängt, meist über die Parole diskutierend, die offenbar keiner gewußt hatte. Hier und dort blätterte einer in einem Gedichtband oder in der Deutschen Turnkunst. Manche bewegten die Lippen wie beim Gebet. Eugens Herz klopfte stark. Längst waren alle Stühle belegt; wer jetzt noch kam, mußte sich in einen Winkel zwängen.
Ein Mann stieg mit schweren Schritten die Treppe herab, und es wurde still. Er war schlank und sehr groß, hatte eine Glatze und einen langen grauen Bart. Es war, und seltsamerweise überraschte das Eugen nicht, ihr Tischnachbar in der Gastwirtschaft, der sich am Vortag in ihren Streit mit dem Polizisten gemischt hatte. Langsam, die Arme schwingend, ging er zum Pult. Dort streckte

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